Homo faber fabricatus – 
Aspekte eines neuen Menschenbildes aus dem Geiste des Designs

 

I Vorbemerkungen mit Blick auf den gegenwärtigen Wandel der Problemkonstellation

 

Von platonischer Selbstbefragung über Nietzsches Selbstentwurf zu technischer Selbstauflösung?

Auf die Frage: ‚Was ist der Mensch?‘ antwortet Sokrates in etwas zweifelhafter Weise in einem zweifelhaften platonischen Dialog: nichts anderes als die Seele.[1]

Da Sie für ihre Zusammenkunft sich das Thema „Der Mensch an  der Wende des Jahrtausends“ vorgegeben haben, kann, ja muß der Hinweis auf Platon fast als ein Affront gegen das Bemühen um ein Mindestmaß an Aktualität verstanden werden. Doch ich ziele keine Platonexegese an, ich will nicht einmal zeigen, daß die seelenzentrierte platonische Auffassung richtig oder - wahlweise - überholt ist. Vielmehr will ich auf einige Aspekte eines neuen Menschenbildes aufmerksam machen, die in Zusammenhang stehen mit Folgerungen, die Sokrates an die Auffassung, die Seele sei der eigentliche Mensch, knüpft. In der Struktur entfalte ich diesen Zusammenhang als Paradoxon. Negation von Seele und weitergehend möglicherweise Negation des Menschen lassen sich als Praxis zwanglos mit der zugespitzten Kennzeichnung: ‚nichts anderes als die Seele’, und vielleicht sogar am besten, aus der  Fortschreibung eines solchen Selbstverständ­nisses legitimieren. An einigen aktuellen Projekten des praktischen Umgangs mit dem Menschen, die sokratisch-platonisches Menschenbild konterkarieren und sich dennoch in der rigi­den Festlegung Platons auf die Geistseele bestätigt sehen könnten, werde ich dies illustrieren. Ein rigoroses und freigestelltes Design von Körper und Seele kann unter einer platonischen Perspektive gesehen und legitimiert werden. Paradoxerweise finden wir dies implizit selbst dann, wenn Nietzschegedanken von einer Züchtung zum Übermenschen in einem rein biologistischen Modell weiterentwickelt werden[2].

Sokrates verbindet die Bestimmung des Menschen als Denkseele mit der praktischen Aufgabe des ‚Erkenne Dich selbst‘. Dieses Bemühen um ein Wissen des Selbst, das eben die Vernunftseele ist, steht, zwar nicht notwendigerweise, doch auch nicht zufälligerweise, in der Gefahr, nicht nur das Körpermaterial zu verbessern, sondern auch die ‚Seele’ als Programm zu optimieren. Die rigide Trennung Körper – Geist, verbunden mit einer Abwertung des Körpers zum bloßen Instrument,  die  für Platon bezeichnend ist, beinhaltet ein Problempotential, das erst auf einer Ebene des technisch Machbaren deutlich wird, wie es für unsere Zeit der Jahrtausendwende charakteristisch ist[3].

Das nächste Jahrtausend zieht nach Ansicht einiger Theoretiker  in der Anwendungsorientierung des Wissens befremdliche Folgerungen aus der Selbst-Erkenntnis. Diese wird freilich ganz anders verstanden, als Sokrates sie versteht, dem es um das wahre Wesen des Menschen geht, wenn er fragt: „Was heißt es doch, auf sich selbst Sorgfalt wenden“ (Alk 127 e) . Die Anwendung des Wissens heute  transzendiert die biologische Natur des Menschen entweder im Rahmen der Biologie – Genmanipulation – oder jenseits des Rahmens der Biologie in der Geistsphäre des Computers bis zur selbstüberbietenden Auflösung. Zumindest theoretisch. Hat die (alte) Forderung nach Selbsterkenntnis das gelingende Leben eines Subjekts‚ das nicht in den materiellen Funktionen aufgeht, zum Gegenstand, so bedeutet die neue Selbsterkenntnis, die Betrachtung dieses Subjekts als Objekt. Die unverfügbare Subjektbasis wird zum verfügbaren Objektmaterial. In der letzten Konsequenz wird dann die Sorge um den Menschen, dem Computer, der besser zu denken (rechnen) vermag, übertragen.      

Der alte anthropologische Grundgedanke, daß der Mensch jenes Wesen sei, das sich selbst als Aufgabe vorfindet, das als Mensch erst der werden soll, der er immer schon ist, jenes Wesen, das sich selbst unterschreiten kann, indem es unter die Stufe des Tiers sinkt und das sich überschreiten kann auf die Stufe des Göttlichen hin, dieser alte Gedanke, der in verschiedenster Form bei Herder, bei Gehlen, bei Heidegger und in vielfachen Formen anthropologischer Gemeinplätze bei den unterschiedlichsten Autoren virulent ist, dieser alte Gedanke bekommt in unserer Zeit eine ganz konkrete Lesart. Die Konkretion der Selbstgestaltung des Menschen heute liegt im technischen Bereich. Es geht nicht um Seelenbildung, sondern um Fertigungsmechanismen, deren Design futuristisch und konservativ zugleich ist.

 

Homo faber fabricatus 

Mein Vortragstitel greift mit der Formel vom homo faber eine geläufige, von Henri Bergson (1859-1941) und anderen betonte, pragmatisch-biologische Gegencharakteristik des Men­schen zur Definition der Gattung Mensch als Homo sapiens sapiens  auf. Die zunächst rhetorisch – gemäß dem Gegensatztopos - motivierte Betonung der handwerklich weltgestaltenden  Seite des Menschen in Gegenstellung zur reflexiv selbstbezogenen nimmt einfach die biologische Klassifikation ‚sapiens‘ philosophisch beim Wort, um ihren Gegenakzent pointiert artikulieren zu können. Da das Merkmal ‚sapiens‘ in traditionell dualistischer Sicht vor allem vom Intellekt und einer wie auch immer zu bestimmenden Geistseele her verstanden wird, kann man durch die Ersetzung von ‚sapiens’ durch ‚faber’ anzeigen, daß andere Charakteristika des Menschen als das Erkennen und der Geist als fundamentalere Bestimmungen aufge­nommen und gedacht werden sollten. Meine Darlegungen artikulieren im Folgenden einige Bedenken, die aus einer Verwindung und Verknüpfung der klassischen Bestimmung des Menschen aus dem ‚reinen‘ Geist mit seinen handwerklichen Fähigkeiten erwachsen können. Der Mensch erscheint in dieser Blickrichtung zunächst als Fabrikant, vornehmlich dann aber als sein eigenes Fabrikat in einem technischen Sinn – homo fabricatus. Dieses Fabrikat tritt uns projektiv in doppelter Fassung entgegen: biologisch als ‚Übermensch’ und technoid als ‚reiner Geist’.

In früheren Zeiten zielte der Gedanke des Selbstentwurfs des Menschen im Zusammenhang mit dem ‚Erkenne dich selbst‘ auf  das charakteristische anthropologische Phänomen einer Offenheit, die eine konstruktive Bestimmung und Festlegung ernötigt und für solch gemäße Bestimmung in freier Weise eine Orientierung sucht.  Diese dem Menschen eigentümliche grundsätzliche Offenheit erwächst aus  der Instinktfreiheit und dadurch, daß er im Unterschied zum Tier, nicht durch Umwelt und Außenreize gebunden ist. Die auffällige Undeterminiertheit läßt sich in einer Sicht als Mangel beschreiben, in anderer Sicht als Möglichkeit, ja als Fülle von Möglichkeiten. Die Offenheit braucht daher ihrerseits eine Orientierung an einem nicht einfachhin verfügbaren und somit selbst nicht gleicherart disponiblen höheren Wert als angezieltes Telos der Entwicklung[4]. Klassisch wird dieses Telos zugleich als Ursprung, Arche, gedacht und mit dem Namen des Guten belegt. Jenes Gute fällt bei Sokrates/ Platon mit dem Wissen ineins und stellt das eigentliche Ziel der Seele dar. Da die biologische Natur des Menschen nicht zur Disposition stand, kam es bei Platon zu einer Konzentration auf eine losgelöste Geistdimension. Der Mensch als scheinbares Mängelwesen der Natur löst die Probleme in der Welt dank seiner ‚göttlichen’ Vernunft[5] und die endgültige Lösung für den Menschen liegt ohnehin jenseits der Körperwelt, die an sich als Mangel verstanden wird [6].  Heute scheint in einer realistischen - und auch vertretenen - Projektion die Erfüllung des Ziels in beiden Varianten: biologische Natur und immaterieller Geist, machbar. Der natürliche Mangel menschlicher Physis erscheint aufhebbar und - zugleich und darüberhinaus - der Geist diesseitig erfüllbar. Damit geht eine wiederum paradox strukturierte Aufgipfelung des Individuums zur ultima ratio einher, verknüpft mit einer praktischen Grenzziehung, die sich aus einer gattungsbezogenen Modellierung des Einzelnen, die seine individuelle Selbstbestimmung stark in Frage stellt, herleitet.

Das hat zu tun mit eben jener charakteristischen Wandlung die das Bildungskonzept der An­tike in der Jetztzeit erfährt: vom Idealbild hin zur Machbarkeitsstudie. Und eben darin unterscheidet sich Prägung und Einflußnahme durch Erziehung, Paideia, von der Herstellung als Fabrication irgendwelcher, wie vollkommen auch immer zu denkender Menschenwesen. Kulturelle Prägung und Entwicklung scheint in der Zukunft zum einen Teil ersetzt zu werden durch biologisches Design, zum anderen Teil scheint eine zum manipulativen Selbstläufer perfektionierte Kultur nicht freizustellen, sondern zu determinieren. Der Soziobiologe Richard Dawkins drückt dieses Menschenbild perfekt aus: „Wir sind als Genmaschinen gebaut und werden als Memmaschinen erzogen, aber wir haben die Macht, uns unseren Schöpfern entgegenzustellen“[7]. Nur der letzte Teilsatz scheint intern fraglich. Doch  Dawkins bietet dieses Menschenbild ja als ein generelles Beschreibungsmodell an. Ich lasse dies dahingestellt, zu­mal ich weder den ersten Teil für beschreibungsadäquat halte, noch, wenn andererseits die Konjunktion des ersten Teils zuträfe, den zweiten Teil - das einschränkende ‚aber’ - als intern theoriekonsistente Aussage ansehe. Jedenfalls kennzeichnet diese Auffassung vom Menschen und seiner Gestaltbarkeit gut die Entwicklungsperspektive eines ‚homo faber’ in der Zukunft. In der Fabrikantenperspektive ergibt die Äußerung einen guten Sinn.              

 

Von der Kultur als zweiter Natur des Menschen zur menschlichen Natur als Kulturprodukt 

In erster Linie bezog sich bis in die Moderne hinein der Gedanke eines Selbstentwurfs des Menschen zuallererst auf das Individuum und seine seelische Entwicklung. Dabei gehörte es zu einer gelingenden individuellen Selbstbestimmung, den Anderen als Mitmensch zu erkennen und anzuerkennen und allgemein die soziale Gemeinschaft als tragendes Fundament des Selbst zu realisieren. In zweiter Linie konnte man diese Aufgabe des Menschen, sich und sein Wesen aus dem eröffneten Freiheitsraum selbst zu bestimmen, dann der Gattung Mensch als charakteristisches Merkmal zuschreiben. Das einzelne Individuum realisiert die höchsten in der Gattung des Menschen angelegten Möglichkeiten - selbst dann, wenn es in seinem Bemühen scheitert. Deshalb konnte für die Erziehung als Maxime gesehen werden, den jungen Menschen zu ebendieser Freiheit und zur Realisierung dieser Freiheit zu führen. Die neuen Tendenzen im  praktischen Umgang mit dem Menschen wie das dahinterstehende Menschenbild sind damit nicht ohne weiteres kompatibel. Das zeigt sich besonders deutlich an der dritten Betrachtungslinie neben Individuum und Gattung in puncto Selbstentwurf, nämlich dem Kulturaspekt. Aus der historischen Perspektive von Bildung stellt sich der Gestaltungsraum dabei ganz anders dar als in der postmodernen des Machens. Die Gestaltung der Kultur als Bedingungsraum für gelingendes Menschsein faßt zunächst die gemeinschaftlichen Rahmenbedingungen für die Verwirklichung des wahren Menschseins ins Auge. 

Gehlen sprach nicht zu Unrecht von der Kultur als der zweiten Natur des Menschen  und betonte, daß der Mensch von Natur aus ein Kulturwesen sei. Seine Formel „Zurück zur Kultur“[8] bedeutet dabei auch, daß die institutionalisierte Prägekraft des Menschen als positive Strukturierung praktisch zu akzeptieren sei.  Die Bestimmung des Menschen aus seiner gesellschaft­lichen Organisation heraus, die Kulturleistung der Institutionen, beläßt den Menschen dabei grundsätzlich in dem durch die biologische Natur vorgegebenen Rahmen. Deshalb verortet Gehlen, der vielleicht wichtigste Theoretiker der philosophischen Anthropologie in unserem Jahrhundert, seine empirisch ausgerichtete Anthropologie  im biologischen Rahmen und ge­winnt als besonderes biologisches Merkmal die Offenheit des Menschen zum Selbstentwurf. Gehlen beruft sich für diese Konzeption explizit auf Herder und bezieht sich ausdrücklich auf Nietzsches Charakterisierung des Menschen als des nicht festgestellten Tieres. So macht Gehlen die alte These vom Mängelwesen Mensch in der Herderschen Fassung[9], in welcher dem Mangel auf der tierischen Ebene die Freiheit zum Entwurf korrespondiert, zur Grundlage des kulturellen Leistungswesens Mensch, das für diese Offenheit in selbstgeschaffenen Insti­tutionen Orientierung sucht[10].

All dies nun kann verstanden werden im Paradigma des alten Menschenbilds - und muß so verstanden werden. Denn die neuen Überlegungen hinsichtlich des Menschen unter dem Signum des homo faber zielen einerseits auf die Mängelbeseitigung auf der biologischen Ebene – was Gehlens (und Herders) Kulturbedingung untergräbt - und auf eine Materialisie­rung der Seele als Kulturprodukt andererseits, was Sokrates göttliches Denken genauso wie Sartres existentielle Freiheit untergräbt. Der neue homo faber, der sich selbst fabriziert, leistet eine Fest - Stellung in doppeltem Sinn.

Die Kultur als Gestaltungskraft des Menschen und Entwurf seines Selbstbilds konnte verstan­den werden als Eröffnung eines Wegs der Seele zu sich selbst und als Bereitung dieses Weges. Zwar konnte Kultur auch in paradoxem Umschlag ihrer Intention, die Entwicklung der Seele in den Kristallisationsformen der Kultur, den Objektivationen der Institutionen und Kulturwerte behindern[11]. Nicht jedoch konnte Kultur die natürliche Grundlage der Gattung Mensch in Frage stellen, auch wenn mit den Überlegungen Gehlens und Herders die Aufmerksamkeit durchaus auf die Plastizität des Menschen in der Kulturformung gelenkt wird. Genau eine solche Korrektur der natürlichen Basis wird jedoch heute als technische Leistung möglich. Kulturwerte verändern damit ihre Funktion von Eröffnung des Gestaltungsraums für den Menschen als Gestalter zur Erfüllung des Programms durch den Menschen als Gestalteten. Natürlich sind diese beiden Komponenten auch auf der ‚weichen’ Ebene der Bildung immer gegeben, doch eine Erziehung deren Horizont nicht die Freistellung des zu Bildenden zu seinem je Eigenen, sondern die Erfüllung ihres eigenen Bildungsprogramms ist, versagt nicht nur als Erziehung, sondern hat in der gattungsspezifischen Offenheit auch ihre praktische Grenze. Jede Manipulation ist lediglich temporärer,  gesellschaftlicher Natur und im Prinzip leicht korrigierbar.   

Niemand anders als Nietzsche plädierte entschieden für die Kultur als Gestaltung des menschlichen Lebens im Sinne des Bemühens, das Selbst einerseits und die Höherentwick­lung über den gegebenen Zustand hinaus andererseits, zu gewährleisten. Was für Nietzsche allerdings in eins fällt. In Nietzsches Versuch, den  Übermenschen zu denken, gelangt ein besonderer Auszeichnungsaspekt des Menschen, nämlich der, in gefährdeter, riskanter Position, nicht Sicherung betreiben zu können, sondern über sich ausgreifen zu müssen, sich noch weiter riskieren zu müssen, um wahrhaft zu sich selbst zu kommen, bei Nietzsche also gelangt dieses Eigentümliche des Menschen, die Bestimmung  des eigentlichen Humanums als Streben über sich hinaus, zu einer formalen Hypostasierung, die dann bewußt das Wesen des Menschen in Frage stellt. Nietzsche selbst war nicht frei davon, dieses ‘Über – hinaus‘ biologistisch als Weiterentwicklung zu interpretie­ren, auch wenn seine Überlegungen zu Züchtung sich keinesfalls in dieser Schiene erschöpfen und, wenn man Nietzsche für die Diskussion fruchtbar machen will, auch nicht in dieser Richtung vorrangig zu verfolgen sind. Doch stehen wir heute aus anderen, konkreten Gründen vor diesem Problem.

Nietzsches vage Überlegungen zu einer biologischen Weiterentwicklung über den Menschen hinaus ent­behrten einer Konkretion, und es ist  charakteristisch, daß das Thema  allenfalls in SF-Literatur im Blick auf technische Möglichkeiten und Fantasyliteratur im Blick auf biologische Horrorvisionen virulent wurde. Nietzsche konnte nicht ahnen, daß und wie die plastische Gestaltungskraft hinsichtlich des Menschen sich entwickeln würde, und für uns heute gilt, daß die erahnten Möglichkeiten uns buchstäblich überwältigen, und daß wir eher wissen, daß wir diese Möglichkeiten, die sich uns in nächster Zukunft auftun,  nicht überblicken können, denn daß wir auch nur diskutieren könnten, welche der Möglichkeiten wir denn konkret im Zugriff auf den Menschen realisieren sollten. Vor allem steht in Frage, ob überhaupt eine Gestaltung des Menschen unter partieller Aufhebung der biologischen, gattungsspezifischen Offenheit legitimiert gedacht werden kann.

Diese Situation forderte Sloterdijk zu seinen keineswegs zufällig Platon, Nietzsche und Heidegger verknüpfenden Erwägungen heraus [12]. Der Wandel von Erziehung des Individuums im Lichte der sprachlich vermittelten Idee - Humanismus und Fundamentalontologie - zur Züchtung der Gattung aus dem Wesen der Technik weist zu verführerische Parallelen auf und er­nötigt zu offensichtlich Differenzierungen, daß nicht der Zusammenhang gerade in der Diskussion um den Begriff des ‚Humanismus’ und den jeweiligen Distanzierungen von einem solchen Humanismus beleuchtet werden sollte. Es ist Sloterdijks unbestreitbares Verdienst, die Frage in den Raum gestellt zu haben, die sich als Frage nach Züchtung aufdrängt, wenn die Gestaltungsmittel vorhanden sind. Daß er die Überlegungen über ‚Menschenhütung und Menschenzucht’ zugleich im platonischen Denkraum fundiert[13], sehe ich als indirekte Bestätigung meiner in ganz anderer Perspektive entwickelten Bedenklichkeit gegenüber einer mögli­chen Aus­nutzung Platons für eine Legitimation allzu freien Selbst-Entwurfs. Wenn Sloterdijk freilich anzudeuten scheint, daß die Frage nach dem ‚Wie?’ des gattungspolitischen Eingriffs angesichts der Potentialität und der mehr oder weniger bevorstehenden Faktizität ebensolcher Eingriffe eine Antwort erheischt, dann gilt es in Erinnerung zu bewahren, daß primär die Frage des ‚ob?’ zu stellen ist, und daß eine Verneinung nicht einfach eine Überantwortung an Gott oder Zufall und ein Herausstehlen aus dem Wissen bedeutet[14]. Generell scheint mir Sloter­dijk in der Diskussion um den Humanismus zu übersehen, daß nicht einfach die huma­nis­tische „Schlacht um den Menschen“[15] eine Zähmung im Gegensatz zu bestialisierenden Tenden­zen bedeutet, sondern daß eine Eröffnung auf ein unverrechenbares Selbst und die Annahme eines solchen vorgängigen unverfügbaren Autosemantikon, wenn man so will, den Humanismus kennzeichnet. In dieser Perspektive wäre einer sokratischen Korrektur Platons - natürlich eine Selbstkorrektur in systematischer Hinsicht - einige Bedeutung beizumessen. Die Problemati­sierung der Schrift im platonischen Dialog Phaidros könnte wegweisend dafür sein, nicht die Fortentwicklung in neue Vorschriften aus gelungenen Dechiffrierungen, sei es des Genoms, sei es des Kulturwesens zu fordern, sondern den Rückbezug auf Seele in jener sehr verleiblichten Form des Gesprächs, wie sie der Dialog propagiert, zu suchen. Vielleicht ist es bezeichnend, daß Sloterdijk in seinen Ausführungen zur Humanismusproblematik von der Schrift und Schriftkultur aus voranschreitet. In einem weiteren Zusammenhang mit medialer Distanz und Festschreibung scheint mir auch der Grundfehler seiner Betrachtungsperspektive zu stehen. Die funktionale Einordnung in technische Zusammenhänge und Machbarkeit - als buchstäbliches anthropotechnisches Einschreiben ins Genom - wird auf die selbe Wirkungsstufe gestellt, wie der möglicherweise nicht unproblematische Zähmungsversuch durch Ideen bis hin zur ideologischen Manipulation. Jeder ‚Zähmungsversuch’, selbst noch die gefährliche Manipulation durch sich institutionell legitimierende Gewalt, steht jedoch in grundsätzlicher Differenz dazu. So verdienstvoll Sloterdijks Hinweis auf ungedachte Zusammenhänge auch sein mag, seine nur in Andeutungen erkennbare Lösungsfigur[16] - und die Basis dafür - scheinen mir nicht richtig benannt. Ich kann dies jedoch  nicht weiter ausführen. Einige der Probleme, die, weil sie mit der rigiden Trennung Körper - Seele zusammenhängen, auch dann erhalten bleiben, wenn wir die prob­lematische soziale Kristallisation des späten politischen Platons mit Sokrates anarchisch auf­brechen, seien daher im Folgenden skizziert.               

 

II Die problematischen Bahnen anthropologischer Selbst-Transformation ins Transhumane

 

Nicht in der Diskussion konkreter Operationen, sondern im Horizont der Konkretion abstrak­ter Möglichkeiten greife ich den Gedanken der handwerklich-instrumentellen Gestaltungskraft des homo faber auf und frage angesichts aktueller Phänomene wie I Prothetik, II Genmanipulation und III Computersimulation, ob der Grundgedanke des ‚Erkenne Dich selbst‘, der die Verwirklichung des Menschen in der Erkenntnis verortet und mit der ‚sapiens‘- Kennzeichnung – also der Gegenkonzeption zu faber – verknüpft scheint, nicht heute eine handwerkliche Interpretation erfährt, die den Menschen als Gattung dem ‚Faber-Konzept‘ des Menschen unterordnet und so den Menschen als Fabrikat fabriziert - homo fabricatus eben. Der Mensch wird so nicht nur als ‚Fabrikware der Natur‘ verstanden, sondern konkret als Produkt angewandter Erkenntnis eines speziellen Teils der Natur, nämlich des Menschen als ‚sapiens’ seiner selbst, gedacht. Gedacht wird der Mensch damit aber auch als Faber, als Macher, der sich im extremsten Fall selbst in gewissem Sinne überflüssig macht. Das traditionell mit der Erkenntniskraft verknüpfte anthropologische Merkmal der Gestaltungsfreiheit des Menschen, verbunden mit der Möglichkeit des Selbstentwurfs, erfährt damit eine technisch-instrumentelle Deutung, die jene Freiheit im Vollzug negiert - und gerade für den anderen Menschen negiert.  

Heute geht es im Grundsatz um die Veränderung eben der Basis, die zuvor im alten Paradigma des ‚Erkenne Dich selbst‘ und der Entwicklung oder Auswicklung der Seele als die unveränderliche – manchmal freilich auch vernachlässigbare - Größe gesehen wurde. Die Natur des Menschen als biologisches Gattungswesen wird Gegenstand von Konstruktion. Wie weit die einzelnen Schritte tatsächlich gediehen sind und inwiefern sie von der Jahrtausendwende aus das neue Jahrtausend und den neuen Menschen präformieren, ist dabei eher eine sekundäre Frage[17]

Ich spitze daher die Entwicklungslinien in einer etwas fantastischen Weise zu, nehme aber in jedem Fall Beispiele, die von Theoretikern  als technische Möglichkeiten eines zukünftigen gestalterischen Zugriffs auf den Menschen verstanden werden.   

Die drei benannten unterschiedliche Aspekte der Anwendung unserer handwerklichen Fähigkeiten hängen eng miteinander zusammen, operieren allerdings auf grundverschiedenen Ebenen und enthüllen je andere Möglichkeiten als ihr Telos. Eine gewisse Zuspitzung in der An­ordnung ist von mir gesucht, wobei diese Zuspitzung sowohl in Hinsicht auf die Fantastik wie in Bezug auf die Gefährdung des Menschen gegeben ist. Alle drei lassen sich dabei gut mit Platonischen Konzepten der Seele als eigentlichem Menschen und dem platonisch-cartesischen Verständnis vom Körper als Werkzeug der Seele verbinden, wohingegen der Antiplatoniker Nietzsche nur für die ersten beiden Möglichkeiten, freilich mit eher entgegengesetzten Begründungen, in Anspruch genommen werden könnte. Gerade der Überwinder der anthropologischen Perspektive würde den programmatischen Schritt zum programmierten Übermenschen also nicht gehen. Eine aparte Konstellation, wenn man so will.   

 

A)    Prothetik und Körperdesign

 

Voranstellen könnte man als ‚harmlosesten‘ Aspekt des Fabrizierens des Menschen die plastische Gestaltung unseres körperlichen Erschei­nungsbildes in einem allgemeinen Sinn. Allerdings drückt sich gerade darin vielleicht die potentielle Gefährdung des Menschenbildes, wie sie aus der Geisteshaltung einer Fabrikation gemäß planerfüllenden idealtypischen Festschreibungen erwächst, am augenfälligsten  aus. Handgreiflich instrumentell. Wenn ich in diesem Zusammenhang von Gefährdung spreche, soll dies jedoch in keinem Fall heißen, daß jegliche Gestaltungseingriffe solcher Art aus ethischen oder humanistischen Gründen im allgemeineren Sinn verboten oder auch nur fragwürdig seien. Gerade in der Differenz von wünschenswerten, akzeptablen und anderen, auf der Basis bestimmter Grundannahmen inakzeptabler Verfahren, wird deutlich, was bei der Übernahme der handwerklichen Meisterrolle jeweils für das Objekt/ Subjekt Mensch auf dem Spiel steht – an Gewinn und an Verlust. Das Prinzip einer freien Gestaltung des Körpers gemäß dem Zusammenspiel einer formalen Idee und den technischen Möglichkeiten steht jedoch als Prinzip in Frage, im Gegensatz zu einzelnen konkreten Eingriffen, die aufgrund anderer Handlungsprinzipien gerechtfertigt sein könnten. Ge­rade das Prinzip als solches würde sich jedoch wegen der Nachrangigkeit des Körpers gar keinen platonischen Einwänden ausgesetzt sehen, während mögli­cherweise die konkreten Eingriffe aus verschiedensten Gründen Platons Mißbilligung finden würden. Natürlich kann in praktischer Hinsicht eine aristotelische Mitte-Orientierung eine brauchbare Maxime abge­ben. Doch diese Mitte muß angesichts der neuen Möglichkeiten der Körpergestaltung und des Körperersatzes erst erkämpft werden.    

Es gibt eine Gradationslinie des gestalterischen technischen Zugriffs des Menschen auf seinen Körper, die von notwendigen Handlungen ihren Ausgang nimmt, über wünschenswerte Ges­taltungsmöglichkeiten verläuft und irgendwo umzuschlagen scheint von der „Eroberung des Körpers“ – so ein Buchtitel des technikkritischen Paul Virilio – in den Verlust der Leiblich­keit. Virilio untertitelt seinen Essay denn auch: „Vom Übermenschen zum überreizten Men­schen“, den er dann am Zielpunkt einer, analog zur Dekonstruktion der Begriffssprache, ‚physiologischen Dekonstruktion’ sieht, wenn der Mensch grundsätzlich die Technologie als Reizquelle in sich aufnehmen kann, wenn er buchstäblich zur Verkörperung der Technik, in der Lage ist[18]. Doch eben dies ist die Frage. Erlaubt die Dekonstruktion und Rekonstruktion unseres sprachlichen Begriffssystems als Gerüst und Skelett unserer geistigen Selbstvergewisserung[19] eine Analogie im Blick auf die Körperbausteine und Extensionen des Körpers.     

Freud kennzeichnete den Menschen als den Prothesengott und sprach damit, wie Gehlen, die grundsätzliche Verwiesenheit des Menschen auf kulturelle Einrichtungen und Ersatzinstrumente für mangelhafte natürliche Welterschließungswerkzeuge an. Die Prothetik hat also einen Aspekt, der mit der kulturellen und wesensgemäßen Entfaltung des Menschen durchaus zusammenhängt. Blickt man aus dieser generellen Perspektive auf die kulturellen Institutionen, dann kommt erst in totalisierenden Operationen das Problem der verallgemeinerten Prothese zum Vorschein. Insbesondere im Umgang mit der belebten Natur - man denke nur an die industrialisierte Tierhaltung - begegnet uns die Problematik eines prothetisch gestützten Zu- und Angriffs als fragwürdige Vollendung maschinell-funktionaler Perfektion. Im Blick auf die Konkretion des Umgangs mit der eigenen Leiblichkeit tritt die Problemkonstellation jedoch schärfer und unmittelbarer am Individuum hervor. Betrachten wir daher die operative Gestaltungskraft in ihrer Wirkungslinie am konkreten menschlichen Körper.     

Die vorangetriebene Prothesennatur läßt uns dabei in Parallele zum technischen Fortschritt in der Erkenntnis des menschlichen Körpers – genauer seiner Mechanik und Bio-Mechanik –immer neue Verbesserungen erwarten. Bei diesem Progressus als ungebremstem Fortschreiten stellt sich dann jedoch recht eigentlich die Frage nach dem Fortschritt für den Menschen. Gibt es einen Umschlagpunkt, wo die Verbesserungen, genau dasjenige, um dessentwillen die Verbesserungen erfolgen, den Menschen als natürliches Individuum, verschwinden lassen? Oder weniger radikal: wo liegt die Wendemarke für menschlichen Gewinn aus technischer Substitution zum bloß technischen Gewinn des Menschen als perfektioniertes Gerät. Wir können die Frage konkretisieren und banali­sieren: verliert unter Umständen der Mensch, wenn er dank perfektionierter Ersatzteillager etliche Generationen an Lebensdauer gewinnt an Lebensqualität? „Die Welt der Technik ist also sozusagen der ‚große Mensch‘“ sagt Arnold Gehlen  in „Der Mensch und die Technik“[20]. Schluckt der große Mensch, dessen Humanum ja gerade in Frage steht, den kleinen Menschen?  

Ich will mich nicht in Ausmalungen der glorreichen Verbesserungen aller möglichen Organe des Menschen ergehen, wir wollen dies als Leistung unserer Wissenschaft und Technik im Sinne einer gewissen Spezialanwendung des ‚Erkenne dich selbst‘ im objektivierten Bereich unterstellen. Freilich ist die perfektionierte Prothetik eine Anwendung, die den Sinn der auf das Subjekt bezogenen Aufforderung des ‚Erkenne Dich selbst‘ in der Objektivierung vergißt.

Der kritische Punkt in der Entwicklung ist wohl spätestens dann erreicht, wenn eine Verbesserung der Fähigkeit des Menschen überhaupt, eine Optimierung des Menschen als solchen also, als Gattungswesen, angestrebt wird. Doch schon auf der Ebene des Individuums wäre dies beim Transfer technischer Verbesserungen ohne die Indikation von Krankheit und Inva­lidität erreicht. Die Prothesen verändern dann ihren Status als Ersatzinstrumente und werden nicht nach dem biologisch vorgegebenem Zielbild menschlicher, natürlicher Fähigkeiten ge­dacht, sondern die Prothesen werden nach den Möglichkeiten von Apparaten zu erweiterter Welterschließung fortentwickelt. Die Prothesen werden gleichsam zu Hyperthesen. Die Erweiterung der menschlichen Sinneswahrnehmung um Infrarotsehen wäre beispielsweise ein nicht ganz unplausibles Beispiel. Dabei muß man freilich immer unterscheiden, ob die Appa­ratur nur Transfers leistet von unzugänglichen Daten in den Bereich unserer Sinneswahrnehmung oder ob die Organkapazität selbst verändert wird. Nicht die Infrarotkamera ist von Übel. Ein Menschenbild, das den Menschen als Fabrikat unter den abstrakten Aspekten von Leistungsstärke und Spezialisierung betrachtet, wäre das Problem. Polemisch fragt Virilio: „Wird schon bald die ‚technische’ Arbeitslosigkeit der Diener in den alten Industrieunternehmen durch so etwas wie eine erzwungene Arbeitslosigkeit einiger lebenswichtiger Organe ersetzt, da man sie für überholt und ihre Leistungsfähigkeit für völlig unzureichend hält? Werden wir nicht ... die Stillegung einer menschlichen Physiologie erleben,die man ange­sichts der Glanzleistungen der intraorganischen Nanotechnologien für endgültig überflüssig hält?“[21] Die Kritik von Virilio an der Technik verkürzt die technische Dimension allerdings um ihre auch im konventio­nellen Sinn denkbare ‚menschliche‘ Steigerung als Steigerung für die Menschlichkeit und als Verbesserung für das leidende Individuum. Doch das Problem eines Werkzeugverständnisses des Körpers liegt offen zu tage. 

Grundsätzlich scheinen alle bisher ins Auge gefaßten Körperveränderungen und Organerweiterungen durchaus noch in einem, die Natur des Menschen nur akzidentell berührenden, gestalterischen Eingriffsbereich zu liegen. Doch trifft das möglicherweise nicht ganz zu. Die von Platon im Dialog Alkibiades argumentativ schamlos ausgenützte Werkzeuganalogie für den Leib gewinnt eine problematische mechanistische Bestätigung, die sich um die Rück­kopplung, um die Korrektur, um die Mitte nicht scheint bekümmern zu müssen. Das Selbst, die Seele verbessert den Werkzeuggebrauch auch dort, wo dieses Werkzeug der Leib im Gan­zen ist.  

Gehlen beschreibt in seinem Essay zum Menschen und der Technik einen Punkt, den er selbst noch im alten Rahmen des  Selbstverständnisses verortet – also der Theoriebildung über den Menschen -, der aber, wie wir im dritten Abschnitt sehen werden, eine technische Verwirklichungsdimension gewinnt, die das alte Bild des Menschen grundsätzlich in Frage stellt. Gehlen spricht von einem erkennbaren Techniktrend „vom Organersatz zum Ersatz des Organischen überhaupt“[22] fortzuschreiten. 

Wenden wir dies auf den Menschen an, dann gilt nicht mehr, was wir für die Frage der Pro­thetik und das Problem des Körperdesigns auf dieser ersten Ebene zunächst noch feststellen können, müs­sen oder dürfen. Dann gilt nicht mehr, daß die wesentliche biologische Grund­lage von den Veränderungen durch Ersatzteile und Weiterentwicklungen nicht  wirklich tangiert wird. Beim Ersatz des Organischen überhaupt geraten wir, in anderer Weise als Gehlen es sich dachte, an eine Grenze, die den Menschen in Frage stellt – und gleichwohl das Menschenbild des Geistes hochhält. 

Doch soweit ist es noch nicht. Zunächst fabriziert der homo faber nur näher an sich, ergänzt technisch die Natur in einem Bereich, der, wenn wir Descartes Gewißheitsschema folgen, in unklarer Form mit dem Geist biologisch verbunden ist. Über die Zirbeldrüse wie Descartes meint. Der Schritt ins Innere der Natur unseres Selbst wie er beim Ersatz des Organischen zwangsläufig scheint, unterbleibt, solange wir nur Organe ersetzen. Oder doch nicht?

Virilio meint, daß der entscheidende Schritt bereits dann erfolgt, wenn die prothetischen Instrumente als Erweiterung in unseren Körper und unsere Sinne eingesetzt werden, wobei ein künstliches Herz nur eine unzulängliche Metapher für diese Inkorporation wäre. Ich habe angedeutet, daß ich Virilios Verdammungsurteil über die Internalisierung der Prothesen nicht einfach übernehmen möchte. Ich lasse die Frage an dieser Stelle offen. Doch, wo immer die Schnittstelle, die den Menschen qua Mensch im Zuge der Ersetzung seiner Organe durch ‚bessere‘ Funktionseinheiten verändert, auch liegen mag, das Prinzip einer Werkzeugoptimierung kann nicht einfach zum Prinzip menschlicher Entwicklung gemacht werden. 

Ich wende mich damit, statt einer bestimmteren Klärung der offenen Frage, der schärferen Problematisierung auf einer fundamentaleren Ebene zu. Die biologische Seite, vor allem im Blick auf das technische Einklinken des Menschen in den natürlichen Prozeß der Generation, verhilft uns zu der Verschärfung. 

 

B) Der Zugriff auf die genetische Basis - Natur als andere Kultur

 

Wir können und sollten verschiedene Stufen eines genetischen Eingriffs nach der Einschränkung des technischen Aspekts auf ein jeweiliges Individuum oder - bei Eingriffen in die Keimbahn – gemäß der potentiellen Ausweitung auf eine Gruppe, unterscheiden. Wenn eine genetische Veränderung bewirkt wird, die selbst wieder vererbbar ist, gewinnt der verbessernde oder heilende Eingriff ins genetische Potential eine ganz andere Qualität. Eine problematische Situation entsteht also vor allem im zweiten Fall, bei Eingriffen in die Keimbahn. Die fabrizierenden Handlungen gewinnen eine Tragweite, die in ihrer praktischen Dimension von unserer Erkenntnis möglicherweise prinzipiell nicht einzuholen ist. Allerdings stünde, wenn wir an die Behebung von klar definierten, schweren genetischen Erkrankungen denken, die Stabilität unseres gattungsmäßigen Selbstbilds theoretisch nicht zur Disposition. Die Ges­taltungsmacht richtet sich in solchem Fall auf ein gesichertes Bild der gegebenen Gattung Mensch und hat dies zur Voraussetzung. Das Potential des Eingriffs aber beinhaltet die Mög­lichkeit, daß uns dieses natürlich vorgegebene, relativ stabile Ziel im Laufe unseres Handelns buchstäblich entgleitet. Nicht daß die Operationen unserem Wissen prinzipiell entzogen wä­ren, schafft ein Problem. Vielmehr droht unser Handeln in der Weise fehlzugehen, daß der Eingriff in die Natur nicht beherrschbar bleibt und sein vorgegebenes Ziel verfehlt. Deshalb herrscht eine weitverbreitete Bedenklichkeit gegenüber solchen genetischen Eingriffen, deren Eigendynamik die Verlaufskontrolle potentiell in Frage stellt. Unter Umständen verändern wir die Natur des Menschen – oder einer Menschengruppe – unkontrolliert und unkontrollierbar. Allerdings sollten wir in diesen Fällen nicht übersehen, daß praktische Unwägbarkeiten das Problem ausmachen, nicht ein Menschenbild, das einen konstruktiven Entwurf des Menschen nach bestimmten idealtypischen Vorstellungen zu realisieren sucht. Zumindest in einigen Fällen schwerer genetisch bedingter Krankheiten scheint nicht einfach eine graduelle Variante eines Design nach einem Idealtypus vorzuliegen. Das philosophische Problem des handwerklichen Zugriffs auf die Identität des Individuums wie auf das Gattungswesen Mensch spielt hier keine Rolle.   

 Andererseits treten offensichtlich selbst dort, wo die therapeutische Eingriffsmöglichkeit noch gar nicht gegeben ist und noch nicht konkret in Rede steht, ethische Probleme auf. Das scheint seltsam. Doch im Grunde zeigen sich hier, eine Stufe niedriger und scheinbar harmlo­ser, die problematischen Kraftlinien der Konzeption eines Menschenbilds, das den Menschen anth­ropologisch als konkretes technisches Resultat selbstbestimmten menschlichen Handelns auffaßt. Das Problem der Koppelung wissenschaftlich-philosophischer Einsicht - und Ideologie - mit technischer Fabrizierkunst des Menschen, tritt in der Frage diagnostischer Möglichkeiten und den damit gekoppelten Implikationen deutlicher vor Augen, denn in der Diskussion um praktische Probleme der Gentherapie bei definiertem Krankheitsbild. 

Die konkrete Diskussion im gegenwärtigen Rahmen wird ja weniger von der Einschätzung therapeutischer Möglichkeiten bestimmt, denn von Problemen, die mit diagnostischen Möglichkeiten im embryonalen Präimplantationsbereich verknüpft sind. Ich kann an dieser Stelle nicht das diffizile Problem der Präimplantationsdiagnostik verfolgen, in dem sich verschie­dene, unterschiedlich akzeptierte, moralische Prinzipien so kompliziert überschneiden, daß ethische Reflexion überhaupt erst das Wertungs- und Rechtsdilemma klar vor Augen stellen müßte. Ein Hauptbedenken bezieht sich, jenseits der Erwägungen hinsichtlich der Konsistenz des Rechtssystems und der praktischen Lösung von Wertungsdilemmata, auf die symboli­schen Folgen für ein Menschenbild, das sich an technischen Perfektionsmöglich­keiten orientiert. Und dies mit Recht, denn die Implikationen sind bedeutsam. Die Optimierungsstrategie ist das Problem, nicht die Verhinderung ir­gendeiner genetisch bedingten Krankheit.

„Gendiagnostik droht zu einer Verkrampfung und Selbstüberschätzung der eigenen morali­schen Urteilskraft bei der Planung des Kinderbekommens zu geraten. Sie bedroht, was sie fördern sollte, nämlich die genetische Souveränität“ sagt Rehmann-Sutter[23]  und fährt fort: „Das Annehmen eines Kindes in seinen Stärken und Schwächen hat zur Voraussetzung, daß diese Konstitution des Kindes letztlich seinem Schicksal oder der Natur zugerechnet werden kann und nicht als ein Resultat von menschlichen Entscheidungen angesehen werden muß“. Das ist analytisch bedeutsam und beinhaltet nicht etwa einen Appell, doch  Gott die Sorge um das Kind zu überlassen. Der Verfasser ist im Übrigen ein Befürworter des Rechts auf Abtreibung. Worum es hier geht, ist die mögliche Überforderung, sowohl der Handelnden – und so den genetischen Rahmen festlegenden -, wie derer, die den solcherart  Verantwortung Übernehmenden dann gegenüberstehen. Die Heilung von bestimmten, genetisch bedingten Krank­heiten ist möglicherweise die harmlose, legitimierende Illustration für eine bedenkliche Struktur, die aus dem Ausschöpfen diagnostischer Möglichkeiten erwächst. Es ist evident, daß mit der Möglichkeit, die Genstruktur vorauszuplanen, diese Fragen als Problem der verantwortbaren Zurechenbarkeit von Eigenschaften der geplanten Nachkommen eine ungeheure Schärfe gewinnt. Es hilft in diesem Zusammenhang jedoch wenig, wenn irgendjemand sich bereit erklärt, die Verantwortung für ein bestimmtes Design des zukünftigen Individuums zu übernehmen. Bereits lange bevor in einer eventuellen Steigerung des Machbarkeitsprinzips die gewünschten Eigenschaften von Menschengruppen oder dem Menschen zur Debatte stehen, stellt sich die Frage, ob es ein Zurechnungssubjekt geben kann (und soll), das sich solche Verantwortung zuschreibt.

 

Vor diesem Hintergrund stellt sich das Problem einer Genmanipulation, die, losgelöst vom klar umrissenen Krankheitsbild, mit dem Ziel einer Veränderung der Eigenschaften einer Population gesucht wird, dann fast in natürlicher Folge.  Es ist dies nicht lediglich ein spekulativ weiterzudenkender Aspekt der oben angesprochenen genetischen Eingriffe vor der Folie einer klaren Defizienz  im Sinne einer Krankheit. Eigentlich speist sich der Gedanke einer positiven Manipulation wesentlicher menschlicher Gattungseigenschaften aus einer anderen Quelle als der Behebung von Gendefekten.

Voraus geht und begleitend zu einer gattungsspezifischen Modifikation steht die Verände­rung, Auswahl und Konstruktion von Individuen gemäß individueller Präferenzen. Man beachte den Strukturzusammenhang mit der Prothetik. Die Optimierungsprinzipien und Zugriffsbereiche sind das Problem, von dem die Kasuistik der Einzelfallbehandlung zumeist ablenkt. Präimplantationsdiagnostik und therapeutisches Klonen sind in philosophischer Perspektive Probleme, die fundamentaler das Menschenbild und die ethischen Grunddispositio­nen betreffen, denn selbst eine Gentherapie mit Eingriff in die Keimbahn.

Die Legitimierung eines individuellen Designs ist nicht nur die technische Vorbedingung für eine ins Auge gefaßte Verbesserung der menschlichen Eigenschaften im allgemeinen. Aus der individuell übernommenen Verant­wortung für den Zuschnitt der Eigenschaftsmenge, die ein In­dividuum genetisch bestimmt, folgt ziemlich zwangsläufig, sobald solches Design über­haupt als verantwortbar verstanden wird, die soziale Regulierung. Eine bereits vor 20 Jahren von einem bedeutenden Genforscher  abgegebene Einschätzung verdeutlicht die Problematik dieses sozialen und individuellen Designs.[24]  

Selbstverständlich hat eine technisch gestaltende Einflußnahme eines genmanipulatorischen Fabers nichts mit dem alten Verständnis von Formung durch kulturelle Änderungen zu tun, übersteigt die genetische doch jede psychologische Manipulation weit. Nicht mehr im Rah­men der Natur soll sich kulturell eine Disposition entwickeln und durchsetzen, sondern kon­kret soll das biologische Wesen und damit die Natur in ihrer Wirkkraft selbst gestaltet wer­den. Robert L. Sinsheimer, Chairman of the Division of Biology am California Institute of Technology in Pasadena meinte denn auch vor 20 Jahren: „die Möglichkeit, genetische Ände­rungen beim Menschen bewußt und gezielt vornehmen zu können, wird mit zu den wichtigsten Errungenschaften in der Geschichte der Menschheit zählen“. Und er fährt fort: „Selbst in den Mythen der Antike konnte der Mensch nicht über seinen Schatten springen. .... Heute müssen wir uns auf diese Chance vorbereiten“[25]   Mit dem schönen Bild vom „über den eigenen Schatten springen“ kennzeichnet Sinsheimer hervorragend die Situation angesichts der Fabrizierkunst des Menschen im biologischen Bereich. Über den eigenen Schatten springen, heißt nichts anderes, als zumindest einige der Bedingungen des Schattenwerfers zu verändern. Der Schattenwerfer ist der Mensch – und welches die Bedingungen sind, die an ihm geändert werden, ist in kategorialer Hinsicht offensichtlich: die eine Person auszeichnenden Formen personaler Freiheit. Und das ist – anders als Sinsheimer meint – relativ unabhängig vom In­halt dieser Änderungen. Die alte Voraussetzung der Freiheit ist nicht nur unter Umständen gefährdet, sie muß bis zu einem gewissen Grad negiert werden.

Die letzten Menschen in dem Sinne, daß sie im klassischen Paradigma des ‚Erkenne Dich selbst‘ operieren, wären die Fabri, die fabrizierenden und planenden Genmanipulatoren selbst. Denn ihrem handwerklichen Tun liegt die freie Entscheidung noch voraus. Die nachfolgenden Fabricati würden in ihrer Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung notwendigerweise sich als Funktionsgrößen der geglückten - oder mißglückten - Planungskonstruktion der ‚alten Menschen‘ erfahren.

Es sind dies nicht gewagte Schlußfolgerungen, die ich, vielleicht aus humanistischen Vorbe­halten gegenüber dem zu selbstmächtig agierenden homo faber, herleite. Als Beleg kann mir Sinsheimer selbst dienen, der einer solchen Entwicklung des Gattungswesen Mensch hin zu einem erkannten und anerkannten Ideal positiv gegenübersteht[26]. Dabei sieht er die von mir gezoge­nen Schlußfolgerungen hinsichtlich der Freiheit durchaus genauso und erkennt diese Veränderung des Wesens des Menschen an: „Wenn man die Natur des Menschen ändert, dann wird dieser in einem höheren Sinne weniger menschlich sein. .... Doch andererseits kann ich nicht alles Menschliche gutheißen ...... Wäre ein Mensch weniger menschlich, wenn er nie­mals Haß, Wut, Neid oder Gewalt kennengelernt hätte? So seltsam es klingen mag: Vielleicht wäre er dann zwar weniger menschlich, dafür aber humaner“.

Darin hat Sinsheimer, wenn der Handwerker richtig operiert, bezüglich des Fabrikats recht. Allerdings ist damit für diesen homo faber fabricatus als biologisches Produkt des homo faber sapiens gerade im Fall des Gelingens die menschliche Entscheidungsdimension hinsichtlich der Verwirklichung seiner Selbst nicht als offene denkbar. Nur das Mißlingen hält die Dimen­sion des Offenen für den Menschen offen. In bewundernswertem Scharfsinn bemerkte denn Sinsheimer hinsichtlich des fabrizierten homo novus: „Richtig, ein solcher Mensch könnte nicht Shakespeare verstehen ....“[27]    

Ich schließe damit die Überlegungen zur biologischen Dimension und komme zu einer noch fantastischeren Steigerung des technischen Vermögens des homo faber, bei der sich die Frage nach dem Verständnis von Shakespeare etwa gar nicht zu stellen scheint, sondern negativ vorbeschieden ist, der Autor aber, dem wir uns zuwenden, Moravec, sieht den Menschen - und Shakespeare - so am besten aufgehoben. 

 

C) Die Simulation der Seele jenseits des biologischen Rahmens

 

Was ist der Mensch hatten wir mit Platons Alkibiades gefragt. Die platonische Antwort: der eigentliche Mensch ist die Seele, stellte uns dann eine ideelle Trennung des Geistes vom biologischen Körper vor Augen.

Jetzt wollen wir betrachten, wie es aussieht, wenn wir die Basis des biologischen Körpers nicht nur werkzeuggemäß erweitern, wie in unserem Beispiel der Prothetik, und wenn wir auch darüber hinausgehen, daß wir unsere kulturellen Überlegungen und Vorstellungen unmittelbar in die biologische Natur des Menschen einfließen lassen. Waren diese beiden Fälle Beispiele für eine unter Umständen problematische Plastizität des biologischen Körpers im handwerklich gestalterischen Zugriff auf die menschliche Natur gemäß unseren Vorstellungen, so bringt das letzte Beispiel eine Distanzierung von diesem biologischen Körper. In Verfolgung der idealtypischen Projektion fabrizieren wir stattdessen idealiter für unsere Erkenntnis(se) ein vom Leib als biologischem Substrat völ­lig losgelöstes und gleichzeitig die (seelische) Identität bewahrendes kybernetisches Gehäuse. Der Mensch, bzw. dessen bester Teil, der Geist, wird, so will es zumindest Moravec in seinem Buch Mind Children, als Computer­programm bewahrt und zugleich mit der überlegenen In­telligenz der künstlichen Maschinen ausgestattet. Es ist, so glaube ich, leicht zu sehen, daß und inwiefern ein solches Konzept als mechanistisch-technische Konkretisierung platonischer GeistKörperentgegensetzung verstanden werden kann. Radikaler noch als in den biologi­schen Verbesserungen des Werkzeugs ‚menschlicher Körper’ wird hier die Instrumentenauf­fassung vom Körper realisiert und dieser auf bloßes Trägermaterial mit beliebigen Extensionen reduziert. Das ‚postbiologische’ Zeit­alter des Menschen zöge gewissermaßen die Konsequenz aus der alten Auffassung, daß der Leib nur der Kerker der Seele und deren akzidentelles Werkzeug ist. Da andererseits Kommunikationstheoretiker wie Moravec nicht eine unsterbliche Seele als ontologische Entität annehmen, vertragen sich diese Überlegungen gut mit einem Naturalismus und können als Fortschreibung der biologischen Funktionsverbesserungen in einem geeigneteren Material verstanden werden.    

„Vom Sozialdarwinismus zur biotechnologischen Kybernetik war es nur ein Schritt“ resümiert Virilio[28] die Entwicklung, und benennt so aus anderer Warte den Zusammenhang, in dem unsere Überlegungen stehen. Die Handlungskompetenz des Homo faber schafft schließlich als Kulturleistung den Menschen qua Biomaschine ab, fabriziert einen homo novus, einen neuen Geistmenschen, der seine Leiblichkeit und seine ganze organische Struktur aufgibt, um die Unsterblichkeit des – menschlichen (wobei in Frage steht, inwiefern diese Kennzeichnung ‚menschlich‘ berechtigt ist) - Geistes in einem so nie gedachten technischen Sinn zu garantieren.

Im Horizont prolongierter Anwendungen der Gentechnik erschien bereits die fabrikationsmäßige Verwirklichung des menschlichen Gestaltungspotentials unter der objektivierenden Maxime ‚Erkenne dich selbst‘  als eine Aufhebung der Bedingung der Möglichkeit des ‚Erkenne dich selbst‘. Zumindest gilt dies, soweit die Selbsterkenntnis sich auf das ‚Selbst‘ als Subjekt bezog. Beinhaltet im einen Fall die Selbsterkenntnis die Offenheit des Selbstentwurfs, die mit dem traditionellen Konzept verbunden ist, so schließt die Objekterkenntnis in der Fertigungsperspektive genau jene Offenheit aus. Der Aspekt des Fabrikats wird bestimmend.

Nun wird idealiter eine wesentlich weitreichendere Konzeption ins Spiel gebracht, die als Folge des ‚Erkenne Dich selbst‘ die Erkenntnis als solche zu bewahren sucht und nicht wie im klassischen Paradigma den Menschen zu seinem Selbst führt, sondern dieses Selbst als Funk­tionsgröße im Organisationsspiel der Geistkinder, d. h. der Computer, begreift. Mind Children heißt das bemerkenswerte Buch von Moravec über den Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz deshalb zu Recht. Der Mensch, wie wir ihn heute in seiner leiblichen Verfaßtheit verstehen, würde in dieser Konzeption ohnehin von seinen mehr oder weniger künstlichen, prothetisch und genetisch verbesserten, Nachkommen auf die „niederen Ränge“ verwiesen. Doch, so Moravec, auch die „gentechnisch hergestellten Übermenschen“ – eine Kombination unserer in I und II betrachteten Fabrikationen -, wären „nur eine Roboterart zweiter Klasse“. Warum also nicht alles ersetzen? fragt sich und uns Moravec. „Gibt es eine Möglichkeit, unseren Geist aus unserem Gehirn zu befreien“ [29]. Das ist die Frage, die sich dem homo faber in letzter Zuspitzung stellt, und Moravec sieht dafür eine Lösung, wenn wir alles in die Hände der Computer legen. Natürlich gibt es dann „zwei oder mehr fühlende und denkende Versionen Ihrer selbst“ schreibt Moravec hoffnungsvoll[30]. Dieses Zerbrechen personaler Identität in Identitätskonstrukte, eine Auflösung in verschiedene Versionen, ist bezeichnendes Charakteristikum des neuen Menschenbilds. Keineswegs zufällig begegnen wir auf der biologischen Ebene im Programm systematischen Klonens demselben Phänomen. Die postbiologische Menschenwelt erscheint gleichsam als Prolongation und Perfektion solcher variabler und multipler Identitäten.     

Ich will das nicht weiter ausführen, doch bezüglich dieser ‚postbiologischen Welt‘ gilt in je­dem Fall, daß wir – nun verstanden als Datenkonstrukte – nicht als menschliche Geistwesen existieren. Denn selbst im Falle einer vom Körper losgelöst gedachten Geistseele, ist das, was wir unter menschlicher Identität verstehen, keine Menge von Daten und Operationsregeln. Der so gesicherte Mensch könnte sich überhaupt nicht mehr menschlich verstehen, da dazu wesentlich und als erstes die Bewertung der Daten und die Zuschreibung von Erfahrung hinzutreten müßte. Vielleicht ließe sich dies als ein mathematisches Modell sogar konstruieren, wenn wir jeweils dem einzelnen Individuum entsprechende Bewertungsräume zuordnen. Doch dann verliert das Ziel von Moravec jeglichen Reiz. Moravec will nämlich den Transfer des Menschen in den Computer vornehmlich deshalb suchen, damit die neuen Menschen an den überragenden Leistungen der Computer teilhaben können. Diese Komponente invalidiert jedoch den, wenn wir das einmal modelltheoretisch akzeptieren wollen, Bewertungsrahmen. Die Computerdaten überschreiben die ‚Seelendateien‘ oder diese haben keinen Anteil an den Erschließungsleistungen der Computer. Moravec schwärmt davon, daß nach vollzogener ‚Geistübertragung‘ viele bislang unüberwindbare Grenzen für den Einzelnen nicht mehr existieren.  Doch es gibt diesen von ihm neckisch als Person angesprochenen Geistmenschen nicht, kann ihn nicht geben, gerade dann nicht, wenn man seine Spekulation bezüglich des Transfers des Menschen in den Computer akzeptiert. Dem Menschen, der als Datenmenge bewahrt wird,  bliebe nicht nur die Erkenntnis seiner selbst versagt, sondern jede Erkenntnis.

 

Schlußbemerkung:

 

Wir haben in ansteigender Problemfolge drei praktisch gestalterische Zugriffe auf den Menschen betrachtet, die jeweils aus der Erkenntnis eines idealen Selbst als Denkseele, die zugleich Willensträger und Handlungsmotor ist, die praktische Selbstverwirklichung als Gestaltung des Körpers, Konstruktion des biologischen Rahmens und schließlich Überschreitung der biologischen Begrenztheit in die Obhut der Computer, entwirft.  

Die Beseitigung der Mängel des biologischen Wesens Mensch im technischen Organersatz beraubt uns dabei eventuell schon eines gewissen Freiheitsraums, doch bleibt dies bei der mechanischen Ergänzung unklar.  Es entfällt zwar der Zwang des Mängelwesens ‚Mensch‘ zur Kompensation des Mangels, aber andererseits erweitert die Organersetzung die Möglichkeiten des Gestaltungsraums. Außerdem lassen sich unter den Bedingungen des Organersatzes und der plastischen Gestaltung des Körpers die Offenheit des einzelnen Individuums wie die Offenheit der Gattung Mensch bewahren, insofern jeweils unsere  Entscheidung gefragt ist, ja vorausgesetzt bleibt. Eine Gefahr liegt freilich neben einer gewissen Standardisierung in einer möglichen Reizüberflutung und Informationsüberlastung.

Die Gestaltung der biologischen Basis, der zweite Fall, stellt allerdings dann bereits das einzelne Individuum in seiner Merkmalsbestimmtheit als Funktionsgröße der Entscheidung anderer Menschen dar, gerade in seinen vitalen Bestimmungen. Der Mensch nimmt damit aus einer – wie jede andere Erkenntnis auch – geschichtlichen Erkenntnis eines Ideals die fakti­schen Begren­zungen der Natur des Menschen vor.  Möglicherweise bedeutet dies in einem rein logisch-kategorialen Sinn das Ende des Freiheitsentwurfs des Menschen aus dem ‚Erkenne dich selbst‘. Die Erkenntnis der biologisch determinierenden Parameter verändert die Emphase des Satzes „Der Mensch ist frei und wär‘ er in Ketten geboren“ in „Der Mensch ist unfrei und dürfte er tun und lassen, was er wollte“. Zwei Anmerkungen sind hier vonnöten, damit die relativ bedenkliche Note, mit der ich diese Überlegungen versehen hatte, nicht mißverstanden wird. Wiederum kann es nicht, und zwar genauso wenig wie beim ersten Fall, dem Beispiel der Körperplastik und prothetischen Ausstattung des Menschen, um eine Verurteilung, im zweiten Fall dann die Verurteilung der Gentechnik gehen. Wir müssen die einzelnen Möglichkeiten für den individuellen Menschen, wie auch noch die Chancen hinsichtlich des individuellen Menschen in seiner generativen Projektion jeweils für sich betrachten und die Frage des Nutzens oder Schadens stellen. Allerdings sollten wir auch nicht das Verände­rungspotential verharmlosen, indem wir auf die im konventionellen Bereich der Kultur und Erziehung ebenfalls gegebene offensichtliche Möglichkeit weitestgehender Manipulation als Analogon verweisen. Der kritische Punkt scheint spätestens da überschritten, wo die Mög­lichkeit einer Erziehung auf selbstbestimmte Freiheit hin – die immer auch die Möglichkeit der Selbst-Korrektur  für die Erzieher als kulturelle Hand­werker bedeutet – unter der Voraussetzung der genetischen Manipulation sinnlos wird. Fabrikate können nicht anders, sie müssen unsere Position als Bedingungsrahmen übernehmen. Solche Gestaltung nach unserem geisti­gen Bild setzt ein fragwürdiges Menschenbild voraus, das den Menschen als das prinzipiell offene, zum ‚Nein’ befähigte Wesen, im Grunde negiert.    

 

Der Gipfelpunkt der Negation jedoch ist in der perfekten Simulation des Menschen erreicht, wie sie uns Moravec als eine Art Unsterblichkeit der Seele – soweit diese als so etwas wie ein Kulturphänomen und eine Datenmenge gedacht wird -  offeriert. Bei diesem angesonnenen Wechsel vom Or­ganischen zum Anorganischen als Träger des Geistes bemüht sich Moravec aufzuzeigen, wie einerseits  der Mensch bewahrt werden und andererseits doch grundsätzlich aus seiner biologischen Bedingtheit abgelöst werden könnte. In dieser Konzeption, in der die Bezeichnung ‚Mensch‘ ihren Sinn verliert, bleibt auch im Moravec’schen Konstrukt lediglich eine zu besorgende und zu entsorgende Datenmenge erhalten. Es wäre hier konsequenter von der end­gültigen Auflösung des Menschen und des Geistes zu sprechen. Wir stehen einer Art Com­puterreligion gegenüber, in der, wie es heißt, zu einer gewissen Zeit ein Handwerker, Mensch genannt, das Licht anknipsen mußte, damit die Götter leben können. Das entspricht zwar dem Welt- und Selbstverständnis mancher Computertechniker, doch bedeutet dieses Menschenbild die Aufhebung des Menschen im Design projizierter Überwelten.

Diese Zielvorstellung eines göttlichen Übermenschen, der im wahrsten Sinne des Wortes zu fabrizieren wäre, wollte ich in ihrer Bedenklichkeit bewußt machen. Nicht gewinnt eine solche Konzeption der Trennung von Geist und Körper, wenn sie denn machbar wäre, ihre Dignität aus alten Vorstellungen des Gegensatzes von Geistseele und Materiekörper, eher stellt sie das Konzept der rigiden Trennung von Geist und Körper und die reine Instrumentauffassung des Körpers in Frage.   

 

 

 



Der Text  bietet eine modifizierte Fassung des in der Zeitschrift für alle - Interdisziplinäres Wissen und prakti­sche Philosophie (2000) abgedruckten  Vortrags vom 15. Nov. 1998 im Rahmen des 2. IPC-Symposions „Der Mensch an der Wende des Jahrtausends“. Ich habe darauf verzichtet, Bezugnahmen auf die zeitliche Situierung zu tilgen, da die Langzeitperspektive den Ausführungen gut entspricht. Andererseits mußte ich darauf verzich­ten, die evidenten Berührungspunkte meiner Ausführungen mit dem Problemhintergrund der sogenannten Slo­terdijkdebatte in konkreter Auseinandersetzung zu entfalten. Dies hoffe ich in anderem Zusammenhang entwi­ckeln zu können. Lediglich an einer Stelle habe ich einige erläuternde Zeilen eingefügt.       

[1] Alkibiades I 129 c; Der Dialog Alkibiades, im, zweifellos von späteren Herausgebern hinzugefügten Untertitel, inhaltlich gekennzeichnet als: ‚über die Natur des Menschen‘, ist so zweifelhaft, daß ihn etliche Werkausgaben Platons gar nicht verzeichnen. Dies geht auf Schleiermachers Echtheitszweifel zurück. Ich verweise auf Platon. Werke in acht Bänden, hg. von G. Eigler, gr.-dt., Darmstadt: WBG, dort in Bd. I in der Übersetzung Schleierma­chers.

[2] Die doppelte Paradoxie ergibt sich aus einer Negation des Menschen in Hinwendung zum Übermenschen, der dann in partieller Abwendung von Nietzsche nicht in der und aus der Feier des Leibs, sondern in der program­mierten Überwindung körperlicher Beschränktheit(en) verstanden wird. Entsprungen aus der Idee!

[3] Doch bestimmte zuvor die Abwertung des Körpers als bloßes Instrument weitgehend das abendländische Selbst­verständnis. Obwohl christliches Menschenbild die Werkzeugmetapher „niemals voll realisiert“ hat, blieb das platonische Bild für die philosophische Reflexion trotz Thomas von Aquin bestimmend und wurde von Des­cartes neu belebt.  Cf. Pieper, J. (97) Werke Bd.5. Schriften zur Philosophischen Anthropologie und Ethik 305f.

[4] Auf einer elementaren Betrachtungsstufe bedeutet höherer Wert zunächst keine ontologische Festlegung auf irgend gegebene Werte, sondern die funktionale Differenz zwischen einem Ist - und einem Sollzustand oder die Bewertung verschiedener Entwicklungsmöglichkeiten. Jegliche Betrachtung unter einer  Mittel-Zweckrelation setzt so ‚höheren Wert’ voraus. 

[5] Im frühen Dialog Protagoras spielt Platon bereits mit der Konzeption des Menschen als Mängelwesen, das dank göttlicher Gaben seinen natürlichen Mangel überkompensiert. Er läßt den Sophisten Protagoras den ent­sprechenden Mythos von Prometheus und Epimetheus vortragen (320 c ff).  

[6]  Cf. den hochgerühmten - und vielgeschmähten (Nietzsche) - Schluß des platonischen Dialogs Phaidon.

[7] Dawkins, Richard (76; dt.96) Das egoistische Gen. Überarb. und erw. Neuausgabe. Reinbek: 322.

[8] Gehlen, A. (86) Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen. Reinbek (re 424), S. 59.

[9]  Cf. Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache von 1772, insbesondere den 2. Abschnitt des I. Teils, sowie Gehlen, A. (40;86) Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Wiesbaden, 13. Aufl.; dort besonders Kap. 9  „Tier und Umwelt. Herder als Vorgänger“ (S. 73 ff).

[10] Cf. Gehlen, A. (56; 86) Urmensch und Spätkultur. Wiesbaden: Aula. Diese Werk kann als kulturphilosophi­sche Ergänzung des stärker aus der speziellen biologischen Perspektive entwickelten Hauptwerks Der Mensch gesehen werden.

[11] Eine ausgezeichnete Illustration der Problematik können wir Georg Simmels Aufsatz von 1911 „Der Begriff und die Tragödie der Kultur“ entnehmen. Dieser Essay erfährt seinerseits eine kluge Korrektur in Ernst Cassirers Studie  „Die ‚Tragödie der Kultur‘“ (1942). Beide Aufsätze finden sich in dem Sammelband: Konersmann, Ralf (Hg) (96) Kulturphilosophie. Leipzig.

[12] Cf. Sloterdijk, P. (99) Regeln für den Menschenpark. Ffm.: Suhrkamp

[13] A.a.O., S. 47ff.

[14] Cf. Ebd. S. 45, wo Sloterdijk darauf verweist, „daß es in Zukunft wohl darauf ankommen (wird), das Spiel aktiv aufzugreifen“. Diese Aussage markiert eine der erläuterungsbedürftigen ‚Leerstellen’ der Rede.

[15] Ebd., S.17 und S. 46 in der emphatischen Betonung eines gegenwärtigen „Titanenkampfs zwischen zähmen­den und bestialisierenden Impulsen“. 

[16] Offensichtlich wendet sich Sloterdijk gegen die Ausdehnung des Gestaltungs- und Manipulationswillens auf die Gattung, was bei zahlreichen Genforschern eher aus praktischen Gründen verneint, theoretisch und ethisch aber gar nicht in Frage gestellt oder bedacht wird. In dieser Hinsicht ist Walther Zimmerlis flapsiger Hinweis in der ‚Sloterdijkdebatte’ auf die praktischen Schwierigkeiten  schon bei der Zuckerrübenzüchtung unangemessen (Die Zeit 30.9.1999).   

[17] Bewußt weise ich der Betrachtung der konkreten Anwendung sekundären Status zu. Das auch in der Sloterdijkde­batte verschiedentlich vorgebrachte Argument, daß statt verschwommener Grundlinien die konkre­ten ethischen Probleme nachzuzeichnen und zu behandeln wären, halte ich für schlicht falsch. In solcher Per­spektive ließe sich auch bei einer Verwerfung der Folter als inhumanen Akt fordern, doch erst einmal die Folter­prozeduren in ihrer spezifischen Wirkweise zu diskutieren.  

[18] Virilio, Paul (93; dt.94) Die Eroberung des Körpers. Vom Übermenschen zum überreizten Menschen. Mün­chen: Hanser (org. L’art du moteur) ; hier S. 121.

[19]  Auch begriffliche Dekonstruktion,  wie notwendig auch immer, ist  im übrigen  nur partiell sinnvoll.

[20] Gehlen (86), Anthropologische ... Untersuchungen, a.a.O., S.149.

[21] Virilio (93; dt.94), a.a.O., S. 131.

[22] Gehlen, Arnold (86) Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen, Reinbek: Rowohlt, S.150.

[23] Rehmann-Sutter (98) „DNA-Horoskope“ in: Düwell/ Mieth (Hg) Ethik in der Humangenetik: 438

[24] Es ist kein Zufall, daß ich in die Steinzeit gentechnischer Überlegungen zurückgreife. Wie Robert Spaemann einmal ganz richtig festgestellt hat, lassen sich grundlegende Intuitionen der Genforscher jenseits forschungstak­tischer und ethisch-politischer Kalkulation in der Frühzeit noch ungefiltert wahrnehmen, während bei den konkreten gegenwärtigen Projekten versucht wird, potentiellen Bedenkenträgern keine Angriffsfläche zu bieten.    

[25] Sinsheimer, Robert L. (70) „Gentechnik: Können wir die Erbanlagen verändern?“ In: Die biologische Zukunft des Menschen. Ffm. (Sonderheft der Unesco-Zeitschrift „Impact of Science on Society“)

[26] Sinsheimer, a.a.O., S. 47: „wir werden die Änderung unseres biologischen Erbgutes als einen glücklichen Fortschritt akzeptieren“.

[27] Ibid.

[28] Virilio, a.a.O., S. 145.

[29] Moravec, Hans (88; dt.90) Mind Children: der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Hamburg, S.150.

[30] A.a.O., S.157.

 

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