Die Phänomenologie des Eros bei Emmanuel Levinas

 

In Tizians gefeiertem Gemälde ‚Himmlische und Irdische Liebe’ (1514, Galleria Borghese, Rom) wird ein weiblicher Akt vor dramatisch drapiertem tizianrotem Tuch, das inszenatorisch den Blick lenkt und das Objekt des Begehrens freistellt, nur die Scham selbst verdeckt ein lose geschwungenes, weißes Tuch, einer zweiten Frauenfigur kontrastiert, die ganz in schwe­res, weißes Tuch gehüllt ist. Weit davon entfernt, mich in eine Auslegung des Kunstwerks als hermeneutisches Objekt verlieren zu wollen, auch wenn vielfältige Aspekte den Weg zu einer Ausbeutung des Bildes für eine Levinasillustration leicht machen, möchte ich daran erinnern, wie schwer, gerade durch die Leichtigkeit des Phänomenaufweises Eros, eine Phänomenolo­gie des Eros sich tut, und wie, in der Philosophie und der Kunst, immer wieder am Phänomen Eros die Differenz Endlichkeit und Unendlichkeit vor Augen gestellt wurde und wird, und so zugleich der Logos dieses erotischen Begehrens zu erfassen gesucht wurde[1].

Levinas versucht genau dies: den Logos des Phänomens 'Eros' zu erfassen. Dabei will ich mich jedoch nicht auf ein Referat dessen beschränken, was Levinas unter dem zu meinem Vortragstitel gleichnamigen Abschnitt ‚Phänomenologie des Eros’ bespricht[2], sondern das Phänomen erotischer Liebe in exemplarischen Blicknahmen von Levinas hinsichtlich Begehren, Wollust und Liebkosung phänomenologisch situieren, um vor diesem Hintergrund mögliche ethische Implikationen, wie Levinas sie zieht, zu bewerten.  

 

Vorgeplänkel um Phänomenologie und Hermeneutik, Platon und Levinas, Eros und Literatur

Für einen Vortragenden in Dubrovnik mag die Gefahr groß sein, vom Eros als einer Liebe zum mediterranen Raum und Licht ergriffen zu werden und von der Schönheit der Land­schaft, des Himmels und des Meers zur Bewunderung sonstiger Schönheiten sich zu verstei­gen. Gefühlsverwirrung als Phänomenerhellung. Bei einem Kongress, der sich das Thema stellt: ‚Phänomenologie und Hermeneutik’, ließe sich diese Gefahr als die des phänomenindu­zierten Fehlers benennen. Phänomenüberwältigt könnte man die Gefühle unmittelbar ins ar­gumentative Spiel bringen und so jenen Grund, den uns die neuere Gehirnforschung gegen Descartes als Grundlage anempfiehlt, die Emotion[3], gegen eine analytisch rationale Betrach­tung als Basis reklamieren. Indem ich nicht unmittelbar einen Rückgang zu den erotischen Sachen selbst angekündigt habe, sondern durch die Hinzufügung ‚bei Levinas’ mich von der reinen Betrachtung des Phänomens und dessen Logos freigestellt habe, bin ich ein wenig ge­feit vor der Überfülle des Phänomens und der Grundlage Emotion. Die Emotion kommt bei Levinas nicht als Argument vor. Man könnte sogar sagen, daß er die Emotion ausklammert, bzw. phänomenologisch einklammert, um den Horizont vor Augen zu stellen. So betrachtet er die Phänomenstruktur und sucht, einen Logos des Eros zu leisten.

Levinas ist selbst freilich nicht ganz frei von Versuchen, existenziell und phänomenologisch die Ratio zu unterlaufen, um der „Bedeutung des Endlichen im Endlichen selbst“[4] phänome­nologisch Rechnung zu tragen. Dies gilt insbesondere, insofern er die Phänomenologie als „Paradox eines Idealismus ohne Vernunft“[5] bezeichnet und Dunkelheit und Verworrenheit des Gefühls als „positives Merkmal“ zu beschreiben sucht[6]. Allerdings betont Levinas auch, daß in der Untersuchung dieser Fragen, die Philosophie zurück zu ihrer Quelle „jenseits der Literatur und ihrer gefühlvollen Probleme“ <meine Hervorhebung> [7] gehen sollte.

 

Die Literatur, ob gefühlvoll oder nicht, zeigt eine zweite Gefahr an, die bei einer Betrachtung einer ‚Phänomenologie des Eros’, also gerade dann, wenn man sich vor der reinen  Fülle des Phänomens klug durch die Brechung an und die Analyse der vorhandenen philosophisch-literarischen Annäherungen zu schützen versucht, droht. Es ist die Gefahr der hermeneutischen Verschwebung, wenn ich so sagen darf. Beim hermeneutischen Fehler droht die Gefahr, an Texten, wie denen von Levinas oder Platon, das Phänomen ‚Eros’ aus dem Blick zu verlieren - erst Recht, wenn man vielleicht gar noch Weiterungen bis hin zu Kierkegaard einbezieht, die jeweils zur Erläuterung der Literatur - Platon zur Erläuterung von Levinas, Kierkegaard wie­derum zur Erläuterung von Platon - herangezogen werden könnten. Wir landen schließlich bei dem Phänomen der ‚Texte über Eros’[8], wir verstricken uns in Geschichten, in denen der Hori­zont der Annäherung das jeweilige Verständnis der Autoren ist, nicht die Sache. Das wäre ein Fehler, nicht nur in einer Phänomenologie des Eros. Für den Eros scheint jedenfalls zu gelten, daß jenseits des Gefühls und diesseits des Verstehens irgendwelcher kultureller Objektivationen, eine Bedeutung liegt, die dennoch nur aus dem Aufweis des Phänomens und dem Verstehen der thematischen oder existentiellen (Ent-) Äußerungen in Kunst und Philosophie zu gewinnen ist. Der doppelten Gefahr, der Überwältigung durch das unmittelbare Phänomen auf der einen und der Distanziertheit im Verstehen der kulturellen Objektivationen auf der ande­ren Seite, ist am ehesten durch eine Verbindung von Phänomenologie und Hermeneutik zu begegnen. Die radikalisierte Phänomenologie von Levinas tendiert dabei selbst zu einer Her­meneutik des Anderen als einer anderen Hermeneutik.

Methodologisch liegt darin ein denkbarer Schnittpunkt von Phänomenologie und Hermeneu­tik. Das wäre systematisch zu zeigen, ich verweise aber lediglich als Anzeige auf die Ent­wicklung des Heideggerschen Denkens von der Phänomenologie zur Seinshermeneutik, da dies hier nicht mein Thema sein kann. Die Phänomenologie führt zu einer bzw. verlangt nach einer Hermeneutik und diese führt bei Heidegger im Überstieg von der Text – zur Seinshermeneutik. Bei Levinas kulminiert dieses ‚über-hinaus’, gerade als Hinausgehen über die Hermeneutik dann in einer Verantwortungsethik. Eine andere Hermeneutik angesichts des Ande­ren.

Ein wenig würde ich Sie natürlich am liebsten verstricken und einwickeln in die alten Ge­schichten von Liebe und Tod, die im literarischen Topos wie in der Alltagssprache so intrigant verbunden sind, daß Levinas ganz natürlich den Eros, „stark wie der Tod“, mit ebendiesem Tod um dasselbe Geheimnis ringen läßt[9]. Den Sieg über den Tod findet er dann relativ zwanglos im Übergang „von der Anderheit des Todes zur Anderheit des Weiblichen“[10].  Levi­nas entdeckte im Verstehen jener alten Geschichten, die davon handeln, daß Eros in seiner Höchstform Philosophie bedeutet und daß Philosophieren heißt: Sterben lernen, womit ich, etwas verkürzt die platonischen Meisterdialoge Phaidon, Phaidros und das Symposion zu­sammengefaßt habe, die Struktur des konkreten Phänomens Eros. Und er entdeckte das Phä­nomen Eros als Gegenmoment. Aus dieser Gegenstruktur leitete er später seine Ethik ab. Vielleicht leitete er sie nicht im deduktiven Sinn ab, doch zumindest gewann er faktisch sein Grundtheorem hinsichtlich eines Primats des Anderen auf diese Weise.

Lévinas, mein Bezugspunkt für die Phänomenologie des Eros, erschloß sich dabei das unmit­telbare Phänomen zunächst über die Auseinandersetzung mit Platon und vertraute auf die Problemvorgabe von Shakespearedramen, vornehmlich Tragödien. Ein klassisch hermeneuti­scher Zugang also, dem er die ursprüngliche Phänomenologie des Eros kontrastierte. Denn zu diesen Geschichten, die eine Gruppe Wein trinkender Freunde sich erzählen, in jenem Sympo­sion, das immer noch nicht ausgeschöpft ist, in der Frage der Liebe und des Todes und auch nicht in der Schlußfrage, ob nicht die Komödie (des Lebens) und die Tragödie (des Todes) irgendwie aufs Engste zusammenhängen, zu diesen Geschichten und der damit verbundenen Philosophie tritt Levinas mit seiner Phänomenologie des Eros in Kontrast. Es ist zugleich der Kontrast von Ethik - Ontologie, von Singularität - Allgemeinem, von Berühren - Verstehen, den er damit ins Spiel bringt. Interessanter Weise lassen diese 'philosophischen' Kontraste sich verstehen aus der und an der Differenz zwischen Levinas und Platon hinsichtlich des Eros. Platon, dem jeweils die Zweitglieder der Kontrastpaare zugeordnet werden können, ge­langt zum Eros als Begehren der Erkenntnis der Gleichheit, Levinas gelangt zum Eros als Begehren des Anderen in seiner Andersheit.

Daher - und dennoch - werde ich nun versuchen, mit dem für die Hermeneutik charakteristi­schen Mangel (wegen der je ausständigen, doch postulierten Ganzheit) gegen die Fülle (der Phänomene und Phänomenologie) und, umgekehrt, mit der Widerständigkeit Levinas’scher Phänomenspuren als Surplus gegen die hermeneutische Einordnung in die Strukturen des Wissens und Verstehens zu argumentieren. Hauptsächlich gegen die Ordnung des Wissens führt Levinas den Eros als Phänomen eines ‚Über-hinaus’ ins Feld: Eros greift - erfolgreich - jenseits aller Begründetheit durch Vernunft und Sein und jenseits noch der Möglichkeit des Verstehens aus.

Dabei entdeckte Levinas den Eros im Grunde akzidentell. Bei der theoretischen Suche nach dem Anderen qua Anderes stößt er auf den Eros. Diese Suche nach dem Anderen sprengt notwendigerweise den vorgegebenen Rahmen der Ordnung der Vernunft. Doch ist die Suche nach dem Anderen auch mit dem Versuch verbunden, nicht hinter das Wissen zurückzufallen, indem man selbst noch hinter Meinung regrediert und dabei dann das Selbst dem Numinosen überantwortet. Vielmehr gilt es, über Wissen hinauszugelangen. Deshalb sucht Levinas die Subjektivität des Selbst jenseits eines notwendigen Subjekts des Denkens zu behaupten. Je­denfalls stößt Levinas unter diesen Prämissen: a) das Andere qua Anderes zu denken und b) das Selbst nicht aufzugeben, auf das Phänomen des Eros. Im Eros als einer Beziehung zwi­schen individuellen Seienden sieht Levinas die Strukturbedingung für die Begegnung zwi­schen ‚Ich’ und Anderem real erfüllt und als lebbares, gestaltbares und zukunftträchtiges Phä­nomen aufweisbar.

 

Zum phänomenologischen und theoretischen Ziel meiner Überlegungen

Nachdem ich oben den eingängigen Poros ‚Phänomenologie’ und die Not, Penia, der Herme­neutik verführerisch zusammengeführt habe, jenes antagonistische Paar von Überfluß (Poros) und Bedürfnis (Penia), das nach Platons Mythos den Eros zeugt, möchte ich, wie Levinas, der in seinem philosophischen Weg aus der Phänomenologie - als einer Art notwendigen Irrtums des Unmittelbaren in Ich-gegebenheit - hinaus und über eine gesteigerte Hermeneutik des Unsagbaren als Vermittlung in diese wieder hineingefunden hat[11], mich nun einer Phänomenolo­gie des Eros zuwenden, die ihn als eine ganz charakteristische Verweisungs- und vielleicht sogar Erfüllungsstruktur in den Horizont logisch-kategorialer Analyse stellt.

Nicht am Ende, doch als erstes Ziel, steht die Erhebung einer charakteristischen Struktur, die als Eigentümlichkeit des Eros gelten kann, und das Phänomen in seiner verwirrenden Vielfalt erhellt. Von dieser speziellen Struktur sage ich, daß sie den Logos des erotischen Phänomens vor Augen stellt.

Dafür beanspruche ich auch unabhängig von Levinas begriffs-analytische Adäquatheit, phänomenologische Ausgewiesenheit und hermeneutische Schlüssigkeit, sowohl was eine Her­meneutik des - erotischen - Seins betrifft, wie was eine verstehende und einfühlende Hermeneutik der Texte betrifft. Fast könnte ich im Fall meiner Autoren Levinas und Platon von meiner Warte aus sagen, daß die werbende Darlegung dieser Positionen von der Überzeugung der Wahrheit getragen wird, wenn nicht das kleine Problem damit verbunden wäre, daß die Positionen von Platon und Levinas das Phänomen Eros strukturanalog darstellen, aber dabei diametral entgegengesetzte Grundvoraussetzungen thematisieren. Platons Symposion jubele ich Ihnen jedoch nicht etwa versteckt unter. Levinas kontrastiert nämlich häufig seine Auffassung vom Eros direkt mit den Liebesreden des Symposions oder mit daraus ableitbaren Posi­tionen.

Deutlich soll werden, warum gerade das Phänomen des Eros Levinas als Erschließungsbild für die Ethik dient, und warum einige inhaltliche Momente, wie die Bezogenheit auf Tod und Fruchtbarkeit, eine Schlüsselrolle in Fragen spielen, die letztlich auf die philosophischen Fra­gen nach Verallgemeinerung, nach dem Wissen und nach dem Guten hinauslaufen. Eros selbst wird so, fast nebenbei, zur hermeneutischen Herausforderung - und zugleich zum her­meneutischen Prinzip.

 

Das Phänomen Eros in seiner elementaren Struktur - eine Indienstnahme von Sokrates

Bevor ich zu meiner knapp referierenden Darstellung der Levinasschen Phänomenologie des Eros übergehe, will ich Sie mit Sokrates zu einer kleinen Übereinkunft verführen hinsichtlich der begrifflichen Erfassung des Phänomens Eros. Sokrates sucht eine solche Übereinkunft zu Anfang seiner Symposionsrede als Begriffsfestlegung. Sokrates kann, wie er selbst sagt, gar keine Lobrede auf den Eros halten und nach kurzem, doch hoch relevantem Begriffs - Ge­plänkel wiederholt er eine fremde Rede, jene Rede, die er erstmals von der Mantineerin Dio­tima als Einführungsrede über die Liebe gehört haben will (Symposion 201 d). Doch vor der Rede fragt Sokrates, ob Eros der Eros von etwas ist oder nicht. Gefragt wird damit nicht, wie Sokrates sofort betont, ob Eros, die Liebe, geliebt wird[12], sondern danach, ob die Liebe formal auf etwas bezogen ist, ob sie auf ein Objekt gerichtet ist. Nun, wir kennen das Phänomen und damit die Antwort, die Agathon denn auch genauso phänomenadäquat gibt. Eros ist immer Eros von etwas, Liebe ist bezogen auf ... Die spezielle Gerichtetheit des Eros wird denn auch Levinas ganz analog zu Sokrates beschäftigen.

Damit hätten wir 'Liebe', wie viele andere Begriffe, jedoch nur als einen relationalen Begriff bestimmt und ganz am Rande erwähne ich, daß diese Bestimmung so naheliegend und trivial adäquat ist, daß wir auch in einer reduziert extensionalen Begriffsbestimmung das Prädikat ‚Liebe’ semantisch als die Menge der geordneten Paare x,y, die in der Relation L - für Liebe - stehen, bestimmen würden. Soweit also ist alles in Ordnung mit dem Phänomen und der Analyse[13].

 In sehr natürlicher Weise fragt Sokrates weiter nach dem Phänomen Eros in der Bestimmung der Relata zueinander. Ob die Liebe, so seine Frage, das begehrt, wovon sie die Liebe ist? Und mit Levinas - und wohl auch unserer Zustimmung - antwortet Agathon dem Sokrates, daß Eros das begehrt, wovon er die Liebe ist. Wir haben mit solcher Klarstellung eigentlich weniger die Objektargumentstelle bestimmt, denn die Subjektargumentstelle eingeschränkt, wie mit der Beispielforderung in obiger Anmerkung, daß Liebende Menschen sind. Ähnlich können bei Sokrates nur mehr des Begehrens fähige Gegenstände an der x-stelle vorkommen. Doch Sokrates will auf etwas anderes hinaus und er fragt weiter nach den Objekten des Be­gehrens, ob nämlich solche Objekte begehrt werden, die der Liebende schon hat oder solche, die er nicht hat. Das Begehren, antwortet Agathon, richtet sich auf das, was man nicht hat. Selbstliebe wird so formal vom Eros ausgeschlossen[14]. Doch damit hat Sokrates auch, wie gewohnt, seinen Gesprächspartner, in diesem Fall Agathon, aus dessen eigenen Vorausset­zungen widerlegt. Agathon meinte nämlich zuvor, daß Eros über die Maßen schön, gut und vollkommen sei und konzediert nun: Eros ist weder schön, noch gut, noch vollkommen, da er das Begehren dieser Eigenschaften ist.

 

Die Phänomenologie des Eros bei Levinas und antiplatonische Folgerungen

Ich werde nun kurz darlegen, wie Levinas das Phänomen des Eros charakterisiert, und zwar in einer Weise charakterisiert, die genau die Relationsstruktur, die für Sokrates den begrifflichen Ausgangspunkt liefert, bestätigt[15]. Und doch liefert ihm, wie er selbst sagt, die erotische Be­ziehung den Prototyp für die Beziehung zum Anderen der Vernunft, zu der Dunkelheit des Geheimnisses, und ist daher „in Begriffen durchzuführen, die ganz und gar von denen des Platonismus, der eine Welt des Lichts ist, verschieden sind“[16]. Das zeigt die Perspektive an. Platon verkennt, wie Levinas moniert, „völlig die Rolle des Weiblichen“[17]. Leider klärt Levinas für sich selbst nicht genau, ob er an der Objektstelle nur Menschen bzw. Personen zulas­sen will, auch wenn es hier so scheint. Doch geht er andererseits in den frühen Überlegungen selbstverständlich davon aus, daß Objekt des Begehrens der andere Mensch ist, weshalb er auch ganz zwanglos vom Weiblichen spricht[18]. Wenn Levinas später der erotischen Liebe nicht mehr die Rolle einer definierenden Explikation des Subjekts in der Überwindung der Zeit zuweist, sondern Eros nur mehr als Exemplum einer paradoxen Struktur in Analogie zur Verantwortung verwendet, kritisiert er an diesem Eros, daß er sich auch auf Sachen, Tiere und Abstrakta beziehen kann. Auf diese Levinas'sche Inkonsistenz werde ich später noch kurz eingehen.

Eine Anmerkung, nicht zur Weiblichkeit, aber zum Begriff der ‚Weiblichkeit’ ist an dieser Stelle angezeigt, wenn nicht vonnöten. Weiblichkeit ist ganz offensichtlich bei Levinas aus der konkreten geschlechtlichen Begegnung des Mannes mit der Frau gedacht. Auch wird klas­sisch der Mann als Subjekt des Begehrens vorgestellt. Freilich wird bei Levinas dieses Sub­jekt nur gerettet durch die Superiorität des Objekts, das eben kein Objekt ist, sondern Ge­heimnis. Dabei soll die Kategorie ‚Weiblichkeit’ eigentlich geschlechtsneutral verstanden werden, wie Levinas später explizit erklärt [19].

Die interne Fragestellung hat sich, wie angedeutet, zwischen den Schriften Die Zeit und der Andere (geschrieben 1948) und Totalität und Unendlichkeit (geschrieben ungefähr 10 Jahre später) verschoben[20]. Suchte Levinas in dem frühen Werk mit Hilfe des Eros nach einer Defini­tion des Subjekts, die letztlich auf seiner Passivität jenseits herrschaftlichen Selbstver­mögens beruht (ZA:53), so sucht er in Totalität und Unendlichkeit eine phänomenal aufweisbare Bestätigung für seinen ethischen Bruch mit dem Sein, der in der Begegnung mit dem Anderen sich vollzieht. Das paßt unter Umständen durchaus zusammen, doch setzt es unter­schiedliche Akzente. Geht es in der frühen Phase darum, die Dimension der Zukunft, die Levinas über den/das Andere - als Fremdes - definiert (ZA:54), für das Subjekt zu retten und zugleich die Einsamkeit der Vernunft kommunikativ aufzuheben, jene Einsamkeit, die durch den Tod als dasjenige Andere, das die Grenze des Könnens, die Grenze des Wissens und des Lichts setzt, nur bestätigt wird, so geht es in den späten Werken um die Dimension der Vorvergangenheit, die das Subjekt dadurch bestätigt, daß die Spur jener Vergangenheit eben die­ses Subjekt gebieterisch in Anspruch nimmt.

Für die Phänomenologie des Eros äußert sich diese Änderung im Status lediglich durch einen leicht verschobenen Focus der Aufmerksamkeit. Im späteren Werk widmet sich Levinas vor allem der, wie er sagt, Ultramaterialität der erotischen Beziehung, die als ein denkbarer Ein­wand zu der Charakterisierung des Weiblichen als radikal Anderes und Geheimnis gesehen werden könnte. Die Profanierung des Geheimnisses der Weiblichkeit bestätigt jedoch für ihn letztlich die in der erotischen Beziehung konstitutive Entzogenheit des Anderen, die er als ‚Weiblichkeit’ auszeichnet. Levinas interessierte im frühen Werk hingegen die grundsätzliche Möglichkeit, ein Anderes als Anderes überhaupt zu gewinnen. In diesem Sinn suchte er ein zeitliches Transzendieren der zeitlosen Gegenwart, die sich im Licht der Vernunft zeigt, hin auf ein Geheimnis der Zukunft (ZA: 64) und kam von daher auf Tod und Eros als Grundphä­nomene des Anderen. In Totalität und Unendlichkeit ging er hingegen von der ethischen Situ­ation eines vorsprachlichen Gebots des Anderen aus und benützte die Phänomenologie des Eros als strukturelle Bestätigung seiner voraussetzungsreichen ethischen Sprachtheorie, die Asymmetrie, Andersheit, und Verwiesenheit über den Seins- und Phänomenbereich hinaus als einsehbare Fundamente einer allem Seinsdenken vorausgehenden Ethik beansprucht. Dabei zeigt der Eros, daß eine solche Beziehungsstruktur gedacht werden kann, weil sie wirklich ist, und demonstriert zugleich, daß der ethische Anspruch so nicht eingelöst wird. Ethik entspricht strukturell dem Eros, ist selbst aber eine nicht-erotische Liebe.

 

Die Begegnung mit dem unverfügbaren Anderen: Tod und Eros

Die argumentative Einbettung der Levinasschen Überlegungen zur Phänomenologie des Eros findet sich jedoch sowohl in der frühen Schrift Die Zeit und der Andere von 1947 als auch in dem späteren Hauptwerk Totalität und Unendlichkeit von 1961 jeweils ganz analog[21]. Nach­dem der Tod als die radikale Infragestellung jedes Vermögens beschrieben wird, kommt Levinas über die so angesprochenen Themen der Anderheit und Zukünftigkeit, die im Tod kulminieren, zu der Frage, ob es „im Menschen eine andere Herrschaft als diese Mannhaftigkeit, dieses Könnens des Könnens gibt“ (ZA 54), das für das Verhältnis des Seienden (Subjekts) zum Sein charakteristisch ist. Ein Leben jenseits des mannhaften Bemühens, in jedem Augen­blick dem Tod, wenn auch vergeblich, zu trotzen, ist gesucht. Denn der Tod kann weder im heldenhaften Akt, noch auf sonstige Weise aktiv ‚übernommen werden’, vielmehr ist er als Ende allen Könnens zu bestimmen. Denn angesichts des Todes scheitert das heldenhafte Subjekt im Versuch einer Rückkehrbewegung zu sich selbst gänzlich. Die Bezogenheit des Subjekts auf sich, wie sie allem Wissen, Verstehen, Bewußtsein eigentümlich ist, vermag den Tod nicht zu integrieren[22]. Levinas fragt sich im Blick auf die Gewalt des Todes, ob diese Gewaltsamkeit nicht die Subjektivität prinzipiell zum Schweigen bringt (TU:370). Der Tod wirft so für ihn die Frage auf, ob es eine andere Ebene der Begegnung mit dem Anderen gibt, auf der, durch die Erscheinung des Anderen und in dieser Erscheinung, als welche ihm zunächst der Tod gilt, das Subjekt anders als im Tod zugleich bewahrt wird und überschritten. Eine Ebene wird ge­sucht, in der das Ich, wie er formuliert, über den Tod hinausgeht und sich zudem über die Rückkehr zu sich selbst, über ein postuliertes Kreisen in der Selbigkeit - das ist sein Vorwurf an Platons Unsterblichkeitsglauben - erhebt. Diese Ebene, sagt Levinas in Totalität und Un­endlichkeit, ist die Liebe. Wir können in der Liebe eine Bewegung finden, in der sich das Subjekt in völlige Passivität gesetzt findet und dennoch in einer Weise, die jenseits des Kön­nens, jenseits des Lichts der Vernunft, paradoxerweise sogar jenseits des Seins ist, als Subjekt besteht, weil die Subjektivität, anders als im Tod, durch das Andere nicht zum Schweigen gebracht wird.

Wie aber kennzeichnet Levinas nun diesen, das Subjekt dekonstruierenden und rekonstituie­renden Eros? Es ist nur natürlich, daß er ihn in der Beziehung zwischen einem konkreten Ich oder Selbst und dem Anderen als einem anderen Seienden analysiert. Das entspricht der Basis unserer mit Sokrates, Agathon, Aristophanes und Levinas erhobenen Relation. Auch die Kennzeichnung, daß sich der Eros auf etwas richtet, was der Liebende nicht hat, entspricht Levinas. Das Objekt des Eros ist etwas worüber das Subjekt nicht verfügt, prinzipiell nicht verfügen kann. Doch das reicht noch nicht aus. Das Objekt könnte, wie bei Aristophanes, ein ergänzendes Anderes im Horizont des Selben sein und so prinzipiell im Seinsentwurf des Subjekts enthalten. Prinzipiell schiene dann das Objekt des Eros erreichbar, der Eros dadurch erfüllbar, daß dieses Andere, das man noch nicht hat, gewonnen, vereinnahmt wird. Hier geht Levinas weiter. Levinas betont emphatisch die Anderheit dieses Anderen. Zunächst und zuerst legt er alles Gewicht auf die Differenz zwischen dem Horizont der Selbigkeit des begehrenden Subjekts und der Fremdheit des begehrten Objekts. Darüber hinaus betont er die Singularität dieses Anderen, das nicht durch Art oder Gattung als Anderes in seiner Identität be­stimmbar ist[23].

Der Levinas’sche Phänomenaufweis überzeugt meines Erachtens hier völlig. Beide Aspekte, Singularität und Andersheit, findet man als Phänomen auf verschiedenen Stufen der Erotik bestätigt. Zutage tritt dies als Faszinosum des Fremden ebenso wie in der Zurückweisung der potentiellen Austauschbarkeit der geliebten Person im Rahmen gattungs- oder artspezifischer Identität. Man kann, wenn man vom Eros erfaßt ist, nicht sagen, nimm einfach ein Indivi­duum derselben Art, das erfüllt denselben Zweck. Wie weit das lebensweltlich geht, kann dahingestellt bleiben. Levinas jedenfalls unterstreicht den Aspekt, daß die erotische Bezie­hung emphatisch auf ein anderes Singuläres, einen Anderen in seiner Singularität gerichtet ist. So erfährt das Subjekt ein Geheimnis, das, wie Levinas sagt, selbst in der Offenlegung Ge­heimnis bleibt - Geheimnis eben deshalb, weil und insofern es ein Anderes ist.

Formal können wir feststellen, daß Levinas die Objektargumentstelle y der Relation L (x,y) als das ‚Weibliche’ benennt. In ZA kennzeichnet er das Weibliche als das absolut andere, das absolut „gegensätzlich Gegensätzliche“, dessen Bewahrung Voraussetzung der leidenschaftli­chen Liebe ist. Diese besteht in der unüberwindbaren Dualität der Seienden. „Die Leiden­schaftlichkeit der Wollust besteht darin, zu zweit zu sein“ (ZA:57). Das Weibliche transzen­diert nach Levinas in einer Bewegung, die der Bewegung des Bewußtseins entgegengesetzt ist (ZA:59) in das Geheimnis. Wiederum stoßen wir auf die Entgegensetzung zu Platon und vor allem zu Aristophanes., wo die Wollust darin besteht, mit dem richtigen Ergänzungspartner zu einer Einheit zu verschmelzen.

Wenn Levinas die kategoriale Gerichtetheit der Liebe auf den Anderen erstmals akzentuiert und den geliebten Anderen, „die Geliebte“, denn das Weibliche ist die „Epiphanie des Ge­liebten“, charakterisiert, dann vermerkt er als erstes Merkmal „Schwäche“ (TU: 372f). Diese Schwäche fordert das Subjekt heraus. Da scheint es fast, als könne in der Relation L (x,y) die x-Stelle traditionell gekennzeichnet werden durch Subjekt, Mann, Stärke, Eroberung und ent­sprechend die y-Stelle durch Objekt, Frau, Schwäche, Hingabe. Doch genau hier setzt die Levinas’sche Volte an. Eben in dieser Herausforderung durch die Schwäche des Anderen vollzieht sich jene Transformation des Subjekts, die ihm erst Zukunft eröffnet. In der Begeg­nung mit dem Anderen, im Begehren des Anderen wird das Subjekt erst in seiner Subjektivi­tät restituiert und erhalten. Das Subjekt wird situiert durch ‚Weiblichkeit’ und in einer Ver­weiblichung.

Das begehrende Subjekt ist bei Levinas - wieder im Gegensatz zu Platon - der Möglichkeit der wissenden, überwältigenden, besitzenden Aneignung beraubt und geht sogar seiner zuvor behaupteten Identität verlustig. Die Liebe ist somit keine Möglichkeit des Subjekts, sondern die Grenze der Möglichkeiten des Subjekts. Levinas beschreibt diese Situation daher als Überfall, als ein Überwältigtwerden des Subjekts ohne rationalisierbaren Grund. Aber das Subjekt bleibt da, wo alle Möglichkeiten unmöglich sind, wo es „nicht mehr können kann“, Subjekt durch den Eros (ZA:59). Das ist der Unterschied zur Begegnung mit dem Anderen des Todes. Das erotisch überwältigte Subjekt erfährt jenseits der sich im Sein behauptenden, mannhaften Durchsetzungskraft, seine Restitution. Jenseits des Möglichen als eines (eigenen) Vermögens und jenseits des Könnens als eines Verfügens (über) gewinnt das Subjekt sich im Erleiden der Liebe. „Die Verwirrung des Subjekts ...(ist) seine Verweiblichung ... In der eroti­schen Beziehung liegt ein charakteristischer Umschlag der Subjektivität“ behauptet Levinas gegen Ende des Werks Totalität und Unendlichkeit (TU: 396).

 

Fruchtbarkeit als Metapher

Deshalb verbindet Levinas damit den, wenn wir an Eros in der Konkretion der sexuellen Be­gegnung denken, naheliegenden, wenn eigentlich auch nicht an diese Struktur unmittelbar gebundenen Gedanken der Fruchtbarkeit. Wir haben bei der Fruchtbarkeit jedenfalls die Per­spektive der Zukunft in unmittelbarem Sinn gegeben. Levinas überakzentuiert geradezu die Perspektive, daß das Subjekt in seinem Kind über den Tod hinaus weiterdauert, und daß so das ‚Ich’ als Subjekt etwas Unmögliches erfährt. In dieser Beziehung zum Kind vermag das Subjekt real die praktische Unmöglichkeit zu erfahren, ein anderer und es selbst zu sein. Es ist dies eine der Formen, die Levinas als eine Illustration für die Möglichkeit ‚Jenseits des Mög­lichen’ anbietet. Die biologische Fortpflanzung wird zur Metapher[24]. Diese Form eines Trans­zendierens - ich erinnere nebenbei daran, daß auch das platonische Symposion den Eros in dieser Perspektive, der Perspektive einer Unsterblichkeit dem Körper nach, feiert - kann Le­vinas dann zur Legitimation verwenden und zum anschaulichen Paradigma der Verantwor­tungsethik wenden. Die über das Interesse am eigenen Sein hinausreichende Verantwortung für die Nachkommen kann als Phänomen kaum bestritten werden[25]. Nicht nur angesichts in Vitro-fertilisation und der Möglichkeit der Schwangerschaft nach Vergewaltigung ist jedoch zu bedenken, daß dieser Gedanke der Fruchtbarkeit nicht zwanglos und nicht notwendig mit den Überlegungen zur Phänomenologie des Eros verbunden werden kann. Fast scheint es so, als ob die von Levinas beiläufig ins Spiel gebrachte ‚geistige Kindesbeziehung’ die klarere Realisierung der Fruchtbarkeit darstellt. Doch dies führt ebenfalls in Schwierigkeiten. Man wird kaum die idealtypische Erfüllung einer liebenden Beziehung im Kind leugnen wollen. Auch findet die Kraft der unmittelbaren Überzeugung sich eher im Zusammendenken von Eros und Leiblichkeit denn im geistigen Band. Jedenfalls öffnet sich mit dem Verweis auf die Fruchtbarkeit ein neuer Problemkreis und das Faktum der Fortzeugung vermag nur als Illust­ration einer Möglichkeit zu dienen, nicht als Beweis der erosspezifischen Eröffnung der Zeit des Anderen. Ich möchte diesen Aspekt der leiblichen Fruchtbarkeit im Folgenden beiseite lassen.

 

Das Phänomen des Begehrens und liebendes Wollen

Betonen möchte ich stattdessen etwas anderes Charakteristisches, etwas Eigentümliches, das für die erotische Beziehung gilt. Der Liebende erstrebt als Begehrender in keinem Fall die, im erotischen Bedürfnis scheinbar als Befriedigung des Begehrens gesuchte, Vereinnahmung des Anderen in einer funktionalen Rolle.

In der Entwicklung der Ethik kommt der Unterscheidung von ‚Bedürfnis’ und ‚Begehren’, die als theoretische Termini verstanden werden, bei Levinas eine eminente Bedeutung zu[26]. Be­dürfnis unterscheidet er vom Begehren dadurch, daß es einen Mangel anzeigt, der befriedigt werden kann, während das Begehren eine Struktur bezeichnet, in der die Behebung des Man­gels das Begehren noch anwachsen läßt. In der Sprache platonisch-aristophanischer Erotik erläutert Levinas, daß Bedürfnis, Mangel (Penia), als Quelle des Poros, des Überflusses, zu sehen ist, als Ermöglichungsgrund eines Reichtums, der den Mangel behebt und das Bedürf­nis stillt. Begehren hingegen ist die Penia des Poros, der Mangel des Überflusses, ein Mangel der paradoxerweise mit fortschreitender Erfüllung weiter anwächst (TU: 159). Das erotische Begehren im normalen Wortsinn hat eine Doppelstruktur, indem es zwischen angestrebter Bedürfnisbefriedigung und Begehrenssteigerung oszilliert.

Denn daß der andere, der Geliebte, in einer subjektiven Bemächtigungsperspektive verein­nahmt wird, das kann das liebende Subjekt überhaupt nicht wollen. Ich glaube, hier sieht Le­vinas etwas Richtiges, das ihm später, wenn er die ethische Liebe als Verantwortung von der erotischen abhebt, aus dem Blick gerät. Der erotisch Liebende will, daß der Andere ihn qua Anderer liebt, ihn in einem Akt liebt, der von sich selbst her als freiheitliche Setzung des An­deren erscheint, und somit Grenze der Freiheit des begehrenden Subjekts ist, sein muß[27]. Der Liebende will nicht, dass der Andere sich seinen Bedingungen nolens volens fügt, sondern vielmehr, dass er selbst, als Liebender, den Bedingungen des Anderen, also des Geliebten, genügen möge. Der Liebende findet sich im Eros aller seiner Möglichkeiten beraubt, sie wer­den jedoch, sofern er sich geliebt findet, restituiert. Ja, das Subjekt wird gestärkt. Liebe wird damit zur Möglichkeit jenseits des Möglichen, zur Übermöglichkeit, oder unmöglichen Mög­lichkeit des Paradoxons: Indem das ‚Ich’ sich als Subjekt verliert, gewinnt es sich als - ver­danktes - Subjekt. Diese Struktur finden wir dann von Levinas in die Ethik transferiert. Dem erotischen Postulat: ‚Du kannst nicht verfügen und den anderen als anderen begehren’, ent­spricht das ethische Postulat: ‚Du kannst nicht töten und dem Antlitz des Anderen begegnen’. Wenn Levinas später theoretisch zuläßt, daß das erotische Begehren sich auf Sachen richten kann, fällt die paradoxe Leistung des Eros als Subjektauszeichnung durch den Anderen weg.

Die Phänomenologie des Eros, die zunächst die Rettung des Subjekts und den Gewinn der Zukunft für dieses Subjekt, als eigentliche Leistung des Eros aufzeigt - Zukunft wird über das Andere als ausständiges Anderes definiert -, dient Levinas eben später nur mehr als eine Auf­weismöglichkeit dafür, daß jene Transzendierungsstrukturen, die Levinas in der Ethik fordert, tatsächlich in der Welt an einem bekannten Phänomen nachgewiesen werden können. Wohl­gemerkt, im Letzten indiziert dabei das Phänomen qua Phänomen das bedeutungsvolle Scheitern der Phänomenologie im Horizont der Urimpression. Das Phänomen bietet, in seinen Urgrund verfolgt, unsagbar, einen Verweis auf Übersteigendes. Das Phänomen der Entzogen­heit des Anderen qua Phänomen ist phänomenologisch als Scheitern der Einbettung in einen Horizont zu erheben. Deshalb bleibt ein (wachsendes) Begehren. Gleichzeitig verweist der erfüllte Eros auf ein immer noch Ausständiges und damit auf ein immer schon vorgängiges Moment eines Unverfügbaren als paradoxal Gegebenes. Verbunden ist dies im Eros mit dem Phänomen der Befriedigung auf „ultramaterialer Ebene“. Diese spezifische Verknüpfung von Geist und Körper, von Befriedigung und fortdauerndem Begehren ist das Charakteristikum des Eros.

Außer Frage steht damit jedoch dann wegen des Phänomens der erotischen Liebe als Begeh­ren des Anderen die grundsätzliche Möglichkeit einer solchen paradoxen Beziehung. Zudem wird die Plausibilität einer Begegnung mit dem Anderen außerhalb aller Verrechnungsrahmen für den Sonderfall Eros aufgezeigt. Die ontologische Identitätsformel zerbricht am Eros und verweist auf die Notwendigkeit, Differenz fundamental zu denken. Der Logos versagt ange­sichts des erfahrbaren Unendlichkeitshorizonts. So illustriert das irdische Phänomen Eros die Struktur der himmlisch postulierten Ethik. Doch wenn bei Levinas der Eros nur mehr Beleg sein soll, illustrative Erläuterung jener Struktur, die uns in der Ethik betrifft, während Eros in der frühen Phase im Gerichtetsein auf ein ausständiges, fruchtbares Anderes die Dimension der Zukunft eröffnete, verändert sich der Aufmerksamkeitsfocus von Levinas im Blick auf die Weiblichkeit und die Wollust. Die These ändert sich, wie gesagt, nicht oder nur wenig, doch charakteristisch ist ein Aspektwechsel. Wenn Levinas zuvor (ZA) das Phänomen der Scham­haftigkeit als Folge und als Beleg der ‚Anderheit’ des Anderen in den Vordergrund stellte, so wird dann (TU) die Unaufhebbarkeit der Entzogenheit, selbst in der äußersten Schamlosigkeit betont. Das hat jedoch durchaus seinen Sinn.

Weiblichkeit bezeichnet lediglich eine ontologische Entzogenheit. Weiblichkeit ist die sich entziehende Kategorie eines singulären Seienden als eines Anderen zum Selben. Dieses ver­sagt sich jeder Verrechnung im Sein über Gattung und Art. Alle Repräsentationen der Weib­lichkeit müssen diese daher fundamental verfehlen, während die Präsenz des Weiblichen als Anderes die Definitionsmacht des Subjekts und den Repräsentationsraum sprengt. Deshalb sagt Levinas: „Was man als Mißlingen der Kommunikation in der Liebe ausgibt, stellt gerade die Positivität des Verhältnisses dar; diese Abwesenheit des anderen ist gerade seine Anwesenheit als des anderen“[28]. Die Abwesenheit des Anderen wird sowohl als Manko der subjek­tiven Projektion, die ein falsches Bild entwirft, wie als Ungenügen der Verobjektivierung des 'Gegenstandes' für welche Nutzung auch immer, bewußt. Das erotische Begehren des Ande­ren kann weder imaginär noch real ausgeglichen werden. Das Andere hält den Eros in der Fülle des Begehrens, diesseits der Projektionen und jenseits des physischen Gegenstands. Dieses ganz Andere zum Selben - das uns als solches Anderes eben auch in der Ethik begegnet - transzendiert zwar die phänomenale Erfüllung durch Projektion und Körperlichkeit. Doch ist das Andere in der erotischen Beziehung zugleich in besonderer Weise gekennzeichnet durch Rückbindung auf Empfindung, Materialität, und Orientiertheit des Anderen auf das Ich. Während in der Ethik der Andere für das Ich als das ganz Andere zur Spur des Ille wird[29], bietet sich der andere in der erotischen Liebe nach Levinas dar als „gelebt durch mich selbst, als Objekt meines Genusses“[30]. Deshalb pendelt die erotische Liebe zwischen dem Jenseits des Begehrens und dem Diesseits des Bedürfnisses hin und her - sagt Levinas.

Dabei läßt sich in Bezug auf den Eros bei Levinas eine interessante Bestimmung der Struktur ausmachen, die er freilich selbst nicht richtig durchschaut und aufgearbeitet hat. Levinas betont hinsichtlich des Eros, daß die Gleichzeitigkeit von Bedürfnis und Begehren, von Begier­de und Transzendenz, die Eigenart des Erotischen ausmacht, des Erotischen, „das in diesem Sinn das Zweideutige schlechthin ist“ (TU: 372). Damit macht er darauf aufmerksam, daß die Liebe als Beziehung zum anderen, trotz der transzendierenden Bewegung, auf eine tiefe Im­manenz rückführbar ist, oder besser gesagt, durch diese gekennzeichnet ist. Es ist dies eine Immanenz, bei der sich das Begehren „bricht und befriedigt wie das egoistischste und grau­samste Bedürfnis“ (TU: 371). Ob Levinas in diesem Zusammenhang mit seinem Verweis auf den Aristophanesmythos, der die Liebe als ‚epithymia tou holou’, als Sehnsucht nach dem Ganzen, auszeichnet, und so eine einfache Erfüllungsrelation denkt, Recht hat, kann dahinge­stellt bleiben. Jedenfalls gibt es sicher den Aspekt der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung im Eros. Doch ist eben diese Befriedigung mit einer paradoxen Steigerung des transzendie­renden Begehrens verknüpft, weshalb der Liebende in gewisser Hinsicht im wahrsten Sinne des Wortes nicht genug bekommen kann. Eros ohne das „Hin und Her“ zwischen Begehren und Bedürfnis ist nicht denkbar. Diese Verknüpfung macht zwar so, im Blick auf das Bedürf­nis, den wesentlichen Unterschied zwischen der erotischen Liebe und der ethischen Gebun­denheit aus, benennt aber, bezogen auf das Begehren, auch die Parallele. Vorausgesetzt ist jedoch auch für die Erotik das Antlitz des Anderen. Levinas behauptet an dieser Stelle jedoch: „auch eine Sache, eine Abstraktion, ein Buch können Gegenstand der Liebe sein“[31]. Das aber ist nicht richtig durchdacht. Levinas - er ist ohnehin kein Logiker - ist hier schlicht widersprüchlich.

Versucht man in irgendeiner Weise, die These konsistent zu fassen, dann gilt: Der andere Mensch ist Gegenstand des Begehrens und nur der Mensch ist Gegenstand dieses Begehrens. Denn Begehren als geistiges Analogon zum materialen Bedürfnis, richtet sich auf Antwort, die ihrerseits als fremdes Eigenes verantwortet wird. Dies ist der Hintergrund des trivialen Phänomens, daß der Liebende alles (erfüllen) will, was der andere, Geliebte, will. Zuallererst will das Subjekt das Wollen des Anderen. Begehren des Begehrens.

 

Laszivität und Wollust als charakteristische Phänomene   

Daß die Objektstelle der Liebesrelation im Levinas'schen Konzept notwendiger Weise auf die Kategorie Seiendes, das ein Antlitz hat, eingeschränkt ist, also auf Entitäten mit denen echte Kommunikation möglich ist, wird gerade in Levinas' Konstruktion der erotischen Nacktheit als eine Aufhebung des ethischen Bedeutungsanspruchs vom Objekt her deutlich. Erotische Liebe gibt es nur zwischen Seienden, die einen herausfordernden Anspruch, dem die Antwort nicht versagt werden kann[32], zu stellen vermögen, weil der Verzicht auf dieses ethische Be-anspruchen nur im Rahmen einer vorsprachlichen Sprache als ein situationelles Verschieben, das die Ethik nicht wirklich aufhebt, geleistet werden kann. Zwar kennzeichnet Levinas Ant­litz und Weiblichkeit, den ethischen Anspruch und die erotische Herausforderung, mit Recht in einer gewissen Entgegensetzung (TU: 383), doch er stellt fest, daß der erotischen Nackt­heit, um „das Nichtbedeuten des Lasziven werden zu können“, die Wahrnehmung des Antlit­zes, d.h. des ethischen Anrufs, vorausgehen muß. Erotik ist in komplizierter Weise mit Ethik verbunden. ‚Lasziv’ ist so als Signalisieren des Einverständnisses mit der Rolle des reinen Genußobjekts zu verstehen. Dies bedeutet ein Aufheben und Verschieben des ethischen Ge­bots vom Anderen her. Es ist ein gleichsam asoziales Einverständnis mit der Subjektintention, das jede Berücksichtigung von Dritten negiert. Doch gerade deshalb gilt: „Die scheinbar aso­ziale Beziehung des Eros hat einen Bezug zum Sozialen“ (TU: 384). Objekt der begehrlichen Liebe kann nur werden, was das ethische Bedeuten des Antlitzes von sich her verschieben kann zum Nichtbedeuten des Lasziven. Den Widerschein dieser Möglichkeit, der Möglichkeit, daß das Objekt selbst (i.e. der Andere) das Bedeuten seines Anspruchs als Gebot (Ethik) par­tiell aufhebt und stattdessen sich zum Objekt des Genusses des Subjekts deklariert, bezeichnet Levinas als das „eigentümliche Geschehen der weiblichen Schönheit“ (TU: 384). Die eroti­sche Beziehung ist gerade aufgrund solcher Verschiebung ein Performanzphänomen, eben im Gegensatz zu Platons Denken der Idee. Gedacht werden kann eine solche existentielle Per­formance jedoch in keiner Weise für Dinge. Levinas irrt sich schlicht an der oben bereits beigezogenen Stelle, wo er solche Ausrichtung auf Dinge als echte Möglichkeit des Eros benennt - zumindest wenn er seiner eigenen Voraussetzung Rechnung trägt.

Das ethische Bedeuten der Sprache kann zwar - und muß - dem erotischen ‚Nicht bedeuten’ des Lasziven entgegengestellt werden, doch: „Das Nicht-bedeuten der erotischen Nacktheit geht nicht dem Bedeuten des Antlitzes voraus“ (TU: 380). Das Bedeuten des Antlitzes bleibt als ausgesetzte Forderung virulent. Deshalb, und in diesem Sinn, kann man sagen, daß der Eros weiter geht als der Ausdruck des Antlitzes. Der Ausdruck bleibt als Ausdruck des Antlit­zes jedoch vorausgesetzt.[33] Die Andersheit des Anderen wird dadurch bewahrt, daß „das Geheimnis erscheint, ohne zu erscheinen“ (TU: 374). Deshalb meint Levinas: „die erotische Nacktheit ist wie eine Bedeutung mit umgekehrten Vorzeichen“, Eros ist eine Helle, die um­schlägt in Glut und Nacht, Eros gründet auf einem Ausdruck, der aufhört sich auszudrücken (TU: 385), Sprachbedeutung, die in Klangmaterialität übergeht.

Eros wird so von der Nachtseite her charakterisiert, von der Sinnlichkeit her, d.h. jenseits der Vernunft. Zugleich aber kennzeichnet ihn auch das Verstummen des ethischen Gebots in der erotischen Artikulation des Bedürfnisses nach Befriedigung. „Die Liebe ist eine Beziehung mit dem anderen, die in Bedürfnis umschlägt“ (TU: 371) - und in der Befriedigung des Bedürfnisses Begehren weckt. Diese paradoxe Struktur des Anwachsens des Bedürfnisses im Zuge seiner Erfüllung bleibt jedoch immer gegeben. Erotische Liebe geht hin und her zwi­schen Befriedigung des Bedürfnisses und Begehren als Anwachsen des Bedürfnisses.

„Die Wollust erfüllt nicht das Begehren, sie ist dieses Begehren selbst“ sagt Levinas denn auch (TU: 379). Dabei ist „Wollust eine reine Erfahrung“[34], die auf das Unendliche - als er­füllbar - gerichtet ist. Das heißt nicht, daß das Unendliche erfüllt wird. Im Gegenteil. Das Unendliche als unerreichbarer Horizont, öffnet den Raum, oder besser, rückt, wie Levinas sagt, den Raum in die Zeit ein. Wenn Levinas in der frühen Schrift Die Zeit und der Andere als Anliegen bekundet, es gelte, „Wollust als das eigentliche Ereignis der Zukunft zu behaupten, als die von jedem Inhalt reine Zukunft“ (ZA: 60), dann entspricht dies durchaus diesem Ge­danken. Das Andere, die Weiblichkeit, das Geheimnis trägt Zukunft. Noch in Totalität und Unendlichkeit betont Levinas: Eros „geht auf eine Zukunft zu, die noch nicht ist und die ich nicht nur ergreifen, sondern die ich sein werde“ (TU: 397). Dieser Aspekt Zukunft wird be­gleitet und unterfangen von dem zweiten Aspekt, daß die Wollust „nicht sieht, sondern profa­niert“ (TU: 380), in der Profanation aber das Geheimnis wahrt.

 

Liebkosung oder Zärtlichkeit

Ich will die eigentümliche Betrachtung des Phänomens des Eros mit einem kurzen Blick auf einen weiteren Schlüsselterm bei Levinas abschließen. Es ist der Begriff der 'Liebkosung'. Dieser beleuchtet das Verhältnis von unmittelba­rer Sinnlichkeit und Transzendenz. Der Vollzug der zärtlichen Liebkosung ist für Levinas wiederum eine Beispielfigur, die in der Beschreibung des unmittelbaren Körperge­schehens jenen für den Eros charakteristischen „Genuß des Transzendenten“ (TU: 372) - eine bezeichnende Contradictio - sinnfällig vor Augen stellt. Als Berührung ist die Liebkosung Sinnlichkeit, zur Liebkosung wird sie aber dadurch, daß in der Berührung das Unberührbare, das Zukünftige, angerührt und gesucht, ja als Abwesendes und Ausständiges gefunden wird. Die Liebkosung transzendiert das Sinnliche[35].

Von der Liebkosung[36] sagt Levinas, daß sie das, was gegenwärtig noch gar nicht gegeben ist, erstrebt. „Die Liebkosung sucht, sie ist auf einer Spur“ (TU: 376). Doch das, was sie sucht, kann gar nicht ergriffen werden, da es „nicht im Licht des Greifbaren liegt“ (TU: 377). Lieb­kosung ist so eine Berührung, dessen, was gar nicht berührt werden kann. Sie ergreift nicht und begreift nicht, sie hebt ihre Initiative auf in einer Evokation des Anderen, wandelt die aktive Intention in Passivität. „Ein gestaltloses Nicht-Ich reißt das Ich mit in eine absolute Zukunft, in der es sich entflieht ... und seine Position als Subjekt einbüßt“ (TU: 379).

Liebkosung ist von einer Seite her sinnlich, aber „im Fleischlichen der Zärtlichkeit verläßt der Leib den Status eines Seienden“ (TU: 377). Levinas bezeichnet das Zärtliche der Liebkosung als eine Weise „sich im no man’s land“ zu halten. Das bedeutet auch, sich zwischen der eroti­schen Sprache, die Liebe als Empfindung deutet, und der spirituellen, die Liebe als Begehren des Transzendenten versteht, zu halten.

Wie so oft, scheint Levinas sich auch hier zu verlieren, an die Bilder, an die Sprache, scheint sich ganz den Metaphern zu überlassen oder nur schwer nachvollziehbare, vielleicht gar un­verständliche Bekundungen abzugeben, die bestenfalls als Anmutungen einen unbestimmten Assoziationsraum um Liebe, Sinnlichkeit und Bedeutsamkeit generieren.

In meinen Schlußanmerkungen will ich jedoch versuchen, die relative Adäquatheit der phä­nomenologischen Beobachtungen, die konzeptuelle Bedeutsamkeit als Gegenmodell zu Pla­tons Erotologie und die interne strukturelle Erklärungskraft des Eros für das Levinasmodell eines Primats der Ethik vor der Ontologie skizzenhaft zu verdeutlichen.

 

Schluß - Erotik und Ethos bei Platon und Levinas

Vergegenwärtigen wir uns nochmals knapp, was die erotische Liebe gemäß dem Levina­s’schen Phänomenaufweis und der allgemeinen Strukturerhellung kennzeichnet. Sie ist eine Relation zwischen liebender und geliebter Person, die entsprechend Subjekt- und Objektstelle einnehmen. Diese Zuordnung wird terminologisch von Levinas auch als ‚Ich/ Selbst’ und Andere/s/r gefaßt, wobei dieses Verhältnis als Beziehung Mann-Frau interpretiert wird. Sieht man einmal von letzterem Punkt ab, entspricht diese Ausgangssituation cum grano salis so­wohl Platon wie Levinas.

Levinas arbeitet im Blick auf das Phänomen dann heraus, dass Liebe ein Begehren des Anderen qua Anderen beinhaltet, wobei eine Vermischung von Bedürfnis und Begehren für Eros charakteristisch ist. Damit ist die antiplatonische Richtung, die Levinas in Bezug auf göttlichen Logos und Licht der Vernunft explizit immer wieder in Erinnerung ruft, auch auf anderer Ebene angezeigt. Eros ist nicht nur Geheimnis, er ist Gerichtetheit auf diesseitig, singuläres Anderes. Sowohl im Blick auf das Phänomen eines Begehrens, das mit der Bedürfnisbefriedigung nur wächst, also nicht etwa abgegolten wird, wie hinsichtlich der emphatischen Orientierung des Begehrens auf ein Anderes zum Selbst, scheint mir Levinas das Phänomen Eros adäquat zu bestimmen. Bei Platon hingegen wird eine Angleichung an die wahre Natur gesucht. Dies gilt sowohl für das Streben zur Idee, wie die Annäherung der Seele an den ihr gemäßen Typus[37].

Bezieht Eros sich bei Levinas auf reine, immanente Sinnlichkeit und zugleich auf Transzen­denz, wird bei Platon die Sinnlichkeit überstiegen und negiert. Die Befriedigung führt bei Platon zu einer Steigerung des Allgemeinheitsgrads bis zur Schau der Idee, eine Angleichung im wahrsten Sinn. Bei Levinas ist das Begehrte das Andere in seiner Andersheit. Soweit dieses Andere, das Weibliche, sich dem Genuß darbietet, gibt es Befriedigung. Diese Befriedi­gung ‚oszilliert’ jedoch wegen der Struktur des Entzogenseins mit dem Begehren, das sich an der Bedürfnisbefriedigung steigert. Diese Struktur des Begehrens entspricht nach Levinas der ethischen Relation Verantwortung, die ebenfalls im Maße der Übernahme und Erfüllung an­wächst. Analog zum Eros wird dabei auch die ethische Verantwortung durch eine herausfordernde Schwäche des Anderen begründet und situiert. Eros und Ethik rechtfertigen und for­dern so das Subjekt. Zwar zerbricht die Autonomie des Subjekts (Spur: 201), doch wird das Subjekt in seiner Subjektivität durch den Anderen heteronom als verdanktes - und gefordertes - wieder eingesetzt. Das gilt für die Ethik und für die Erotik. Das Subjekt restituiert sich im Eros in einer Verweiblichung, in der Ethik in der Stellvertretung für den Anderen. Weiter gilt für Ethik wie Eros, daß das objektivierende Erkennen in diesen Bereichen nicht zu begründen und einzugrenzen vermag. Allein ein Denken, das mehr denkt als es denkt, ist angemessen. Die Differenz zwischen Ethik und Erotik liegt so im Grunde allein in der asozialen erotischen Dualität der Liebenden und dem konstitutiven Wechselspiel des Eros zwischen erfüllbarer Begierde und unendlichem Begehren.

Daher ist Erotik jenseits der ethischen Sprache, die im Antlitz des Anderen als Gebot auf­leuchtet, zu verstehen. Eros richtet sich zwar kategorial auf einen Anderen, der einen solchen ethischen Anspruch zu artikulieren vermag. Andererseits hebt der Andere als erotisch Be­gehrter diesen ethischen Anspruch gerade in der Erfüllung des Eros im Angebot ultramateri­aler Körperlichkeit auf. Das erotische Begehren richtet sich damit aber als solches auf die spezifische Entgrenzung in der Aufhebung des ethischen Anspruchs. Der begehrte Andere, das Weibliche, bringt in der erotischen Offerte das Gebot zum Schweigen, indem er/es sich selbst zum Genuß darbietet. Es ist eine Unverfügbarkeit, die sich von sich her verfügbar macht, auch wenn sie dabei unverfügbar bleibt. Sinnlichkeit und singuläre Andersheit, die alle vereinnahmenden Kategorien durchkreuzt, bieten so eine paradoxe Erfüllungsbeziehung. Eros gewinnt Elemente sinnlicher Befriedigung jenseits oder besser gesagt diesseits des ethischen Gebots. Darin liegt das Ungeheure des Eros und seine Distanzierung konventioneller Moral - auch wenn die Bindung an das ethische Gebot in der erotischen Beziehung nur verschoben ist und nie wirklich aufgehoben sein kann.

Levinas macht denn auch darauf aufmerksam, daß die erotische Struktur an die Konkretheit des Phänomens und die Oberfläche des Körpers gebunden sein muß. Die Metapher der ‚Haut’, in der Erotik nahe liegend, nützt er allerdings auch anders und überträgt sie ebenfalls auf die ethische Grunderfahrung. Wieweit dies überzeugt, soll hier dahingestellt bleiben. Doch sowohl in der Reflexion des Eros wie im Bedenken der Ethik geht es um eine Seinsre­flexion, die dadurch über das Sein ausgreift, daß sie dem Seienden und der Außenhaut dieses Seienden gegen die Totalität des Seins gerecht zu werden sucht. Am Seienden als Anderem, d.h. nicht lediglich als anders seiend im Sein, sind so Spuren des Unendlichen als ganz ande­rer Dimension, wie Erfahrung einer anderen zeitlichen Dimension als Offenheit auf Zukunft hin zu gewinnen. 

Eros erschüttert nach Levinas wie die Ethik in der Beziehung zum Anderen das Subjekt- und Seinsdenken. Theoretisch richten sich die Levinasschen Überlegungen ja vornehmlich gegen ein Seinsdenken, gegen ein Denken der Autonomie eines in der Selbigkeit seiner Identität ruhenden Subjekts als fundierende Erfahrung. Dieses im Sein ruhende Subjekt und im Subjekt repräsentierte Sein wird ganz offenkundig durch den Eros in Frage gestellt. Körperliche Ult­ramaterialität und absolute Entzogenheit sind zugleich konstitutiv. Die ganze Denkbewegung, der auch das Levinas'sche Denken der Differenz zugehört, kennzeichnet Deleuze mit Recht als Vorwurf gegen die (vergewaltigende) Repräsentation, für welche charakteristisch ist: „sie bleibt bei der Identität stehen, und zwar in doppelter Hinsicht des gesehenen Dings und des sehenden Subjekts“[38]. Die Erotik bietet in vielfacher Hinsicht eine Transgression solcher Iden­tität. Sie offeriert ein Außer sich des Subjekts und verweist auf jenes absolute Entzogensein des Objekts trotz - und gerade - in der Hingabe: “In der Wollust ist der andere ich und getrennt von mir“, denn „nichts ist dem Eros ferner als der Besitz“ (TU: 389). Den Bezug der Erotik zur Repräsentationszurückweisung verdeutlicht Levinas selbst. Ist das (gesehene) Ob­jekt nicht zu erfassen, so „befreit sich das ( - ich füge hinzu ‚sehende’ -) Ich durch die Bezie­hung mit dem Anderen in der Weiblichkeit von seiner Identität“ (TU: 399f). Wir könnten sagen, daß das Subjekt überhaupt erst im Durchgang durch die Weiblichkeit eine Position gewinnt.

Ich habe eingangs meines Vortrags in jener lockeren Weise, die vielleicht gerade noch für den Anfang eines Vortrags statthaft sein mag, wenn man an das von Platon geliebte Geplänkel denkt, bevor die Thesen und die Auseinandersetzung beginnen, mit Hermeneutik und Phäno­menologie als Penia und Poros gespielt.

Ich möchte schließen mit einem Hinweis auf die Bedeutung des Eros für die Hermeneutik. Bei Platon wäre das Ziel des Eros so etwas wie erfüllte Hermeneutik, bei Levinas hingegen kann Eros als Liebe zu ‚etwas’, als Gerichtetsein auf ein hermeneutisches Objekt, nur meta­phorisch angewendet werden. Doch ähnlich wie die Erosstruktur die ethische Struktur analog darbietet, zeichnet sie auch die Verstehensstruktur vor. Der Eros ist Gerichtetheit auf das An­dere qua Anderes in einer nicht ausdenkbaren Angleichung. Solche Gerichtetheit auf Anderes geht dem Verstehen als Bedingung voraus und bestimmt dessen Struktur. Die Liebe zu einer Sache, die nicht abschließend vereinnahmt werden kann, erscheint in dieser hermeneutischen Perspektive als Vorbedingung für das paradoxe Gelingen. Die Hermeneutik als Findekunst ist nicht der Eros, doch, wie Sokrates feststellt, Eros ist die Treibkraft für die Suche. Der geflü­gelte Eros beflügelt die Philosophie. 

Ohne die Liebe zu einem ausständigen Anderen, ohne eine Besessenheit, ohne eine Angleichung an ein Objekt, das vorgegebene Identitäten in Frage stellt, mag die hermeneutische Suche jedoch vergeblich sein, vergeblich deshalb, weil sie sich mit dem falschen Resultat zufrieden gibt, weil sie im Eigenen verharrt, statt für das Fremde einzustehen.

So bleibt dann auch vielleicht als gemeinsamer Nenner jener beiden so gegensätzlich fundierten strukturanalogen Konzeptionen des Eros bei Platon und Levinas als fundamentalstes Problem des Verstehens: Őμοίωσις (Homoiosis) - letztlich unmögliche Möglichkeit, wie Levinas nicht müde wird zu betonen - τωι θεωι (to theo), Angleichung an Gott. Und bei beiden Denkern - was Levinas ebenfalls nicht müde wird zu betonen (und zu zitieren) - liegt das Gute als eigentlich Begehrtes jenseits aller Erfülltheit, selbst jener der Schönheit und des Seins.

 

 

 

Literaturverzeichnis:

Quellen:

Levinas, E. (47; dt.97) Vom Sein zum Seienden. (org. De l’existence à l’existant.) Freiburg: Alber                                                                                                         EE

Levinas, E. (48; dt.289) Die Zeit und der Andere. Hamburg: Meiner.     ZA

Levinas, E. (60; dt.92) „Das Judentum und das Weibliche“ In: derselbe (dt.92) Schwierige Freiheit. Frankfurt am Main, S.42-52.

Levinas, E. (61; dt.87) Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Freiburg: Alber.                                                                                                        TU

Levinas, E. (dt. 83) Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozial­philosophie. Freiburg: Alber.                                                                    Spur

Platon, Werke in 8 Bdn., hg. von G. Eigler; gr.-dt., Darmstadt: WBG;

--- Symposion- Das Gastmahl. und Phaidon in: Bd.3, Phaidros in Bd. 5. Übers. v. Friedrich Schleiermacher, bearb. von D. Kurz; 1974/ 1983.

 

Sonstige verwendete Literatur:

Deleuze, Gilles (68; dt.92) Differenz und Wiederholung. München: Fink.

Derrida, Jacques (<80>; dt.90) „Eben in diesem Moment findest du mich“ (Org.-Titel: En ce moment même dans cet ouvrage me voici; übers. v. Elisabeth Weber) In: Parabel 12: Levinas. (Hg. von Evang. Studienwerk e.V.), S. 42-83.

Gürtler, Sabine (96) „Eine Metaphysik der Geschlechterdifferenz bei E. Levinas“ In: Phäno­menologische Forschungen. NF 1: 22-43.

Irigaray, Luce (84; dt.91) „Fruchtbarkeit der Liebkosung. Eine Lektüre von Levinas: Totalität und Unendlichkeit, IV,B, ‚Phänomenologie des Eros’“ In: dieselbe Ethik der sexuellen Differenz. Ffm.: Suhrkamp (es 1362).

Kierkegaard, Sören (dt. 75) Philosophische Brocken. Ffm.: stw 147.

Krewani, Wolfgan N. (92) Emmanuel Lévinas. Denker des Anderen. Freiburg: Alber.

Liessmann, Paul (Hg) (2002) Der listige Gott. Über die Zukunft des Eros. Wien: Zsolnay (Philosophi­cum Lech 5).

Llewelyn, John (95) The Genealogy of Ethics. N.Y.: Routledge.

Rauscher, Josef (2001) Sprache und Ethik. Würzburg: Königshausen & Neumann.

Reiter, Josef (89) „Emmanuel Levinas’ ethische ‚Verwindung’ der Metaphysik“ In: Coreth, E. (Hg) (89) Metaphysik in unmetaphysischer Zeit. Düsseldorf. 

Welte, Bernhard (73) Dialektik der Liebe. Gedanken zur Phänomenologie der Liebe und zur christlichen Nächstenliebe im technologischen Zeitalter. Frankfurt a. M.: Knecht.

Wenzler, Ludwig (289) „Zeit als Nähe des Abwesenden. Diachronie der Ethik und Diachronie der Sinnlichkeit nach Emmanuel Levinas“ Nachwort zu: Levinas, E. (48; dt.289) Die Zeit und der An­dere. Hamburg, S. 67-92. 

 

 



[1] Selbstverständlich enthalte ich mich jeden Versuchs einer Auflistung. Lediglich um Platon und Levinas entsprechende Künstler beispielhaft zur Seite zu stellen, weise ich auf von Botticelli (1485 Uffizien, Florenz) und Cy Twombley (1979, Sammlung Speck, Köln) realisierte Versionen der ‚Geburt der Venus’ hin. Letztere bietet lediglich ein grau-weiß-rosa Farbfeld über einem blauen Farbfeld mit der Titelung Aphrodite Anadyomene. 

[2] Levinas, E. „Phänomenologie des Eros“ ist ein Unterabschnitt (S. 372-390) des Kapitels IV „Jenseits des Antlitzes“ von Totalität und Unendlichkeit, , Freiburg. Im Folgenden zitiert mit der Sigle TU.

[3] Antonio Damasio (99; dt. 2000) Ich fühle also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewußtseins. München: List.

[4] Levinas, E. (49; dt. 83) „Von der Beschreibung zur Existenz“ In: ders. (dt.83) Die Spur des Anderen, Freiburg: Alber; S. 53-80. Im Folgenden zitiere ich diese Aufsatzsammlung mit der Sigle Spur; hier Spur: 56

[5] Spur: 62

[6] Ebd. 56.

[7] Diese Zurückweisung des literarischen Lifestyles ‚Existenzialismus’ findet sich im programmatischen Aufsatz „Ist die Ontologie fundamental?“ (51; dt. 83) Spur: 103-119; hier 103.

[8] Wie zuletzt Liessmann (2002) sie unter dem Titel „Der listige Gott. Über die Zukunft des Eros.“ präsentierte.

[9] Levinas, E. (48; dt.289) Die Zeit und der Andere. Hamburg: Meiner, S. 48; im Folgenden zitiert als ZA.

[10] ZA: 61.

[11] Levinas bietet das unabwendbare Scheitern der Phänomenologie als Phänomenaufweis für seine Philosophie des Anderen an.

[12] Sokrates behauptet im Symposion, der Grundfehler in der Beschreibung des Eros sei, ihn mit dem Geliebten, dem Angestrebten, gleichzusetzen, statt mit dem bedürftigen und begehrenden Liebenden.

[13] L(x,y) würde als Formelanzeige stehen für die Liebe zwischen x-beliebigen x und y und wir könnten uns Gedanken machen über naheliegende Einschränkungen, die wir fordern wollen. Etwa "x L(x,y) É M(x), mit M für Mensch, wonach dann nur Menschen lieben. Ein ausgezeichneter Fall im alltäglichen Leben und vor allem im Symposion, dank Aristophanes, ist (a, b, c nun als Gegenstandskonstanten) L(a,b) & L(b,a) º G(a,b) mit G für Ganzheit. Genau dann, wenn a b liebt und b liebt a, resultiert eine vollendete Ganzheit. Im Gegensatz etwa zu Heines unglücklicher Dichterliebe, wo gilt: L(a,b) & L(b,c) & L(c,d) und a das Herz bricht, wegen naheliegender Ausschließlichkeitsbedingungen, die ich aber nicht formulieren will. 

[14] Dies entspricht den Intentionen von Levinas und dennoch kommt er auf der Basis dieser Struktur zu einer ganz anderen Phänomenbeschreibung. Jedenfalls gilt für Aristophanes (für Sokrates jedoch nur am Ausgangspunkt des Aufstiegs zur Idee!) und im Grunde auch für Levinas die Forderung A (Aristophanespostulat): "x"y (L(x,y) É M(x) & M(y) & B(x,y)) & Ø (x =y). Zu lesen als: Für alle x und alle y gilt, wenn x y liebt, dann ist sowohl x wie y ein Mensch und x begehrt y, wobei x nicht gleich y ist. Also: Erotische Liebe ist ein von Menschen auf andere Menschen gerichtetes Begehren.

[15] Die Forderung M(y) gilt allerdings strukturell weder für Sokrates, noch im strengen Sinn für Levinas, sondern für den Aristophanesmythos. Doch während Sokrates, vom konkreten Einzelmenschen, also dem Aristophanespostulat A, ausgehend, für das eigentliche Objekt des Begehrens schließlich Kollektivabstrakta und dann Ideen zuläßt, gelangt Levinas praktisch von beliebigen Objekten (y) des Begehrens zur Einschränkung auf den Menschen (Cf. TU: 371). Diese Einschränkung bedeutet bei ihm dann allerdings zugleich den Übergang von erotischer Liebe zu ethischer Verantwortung. 

[16] ZA: 48.

[17] Levinas (47; dt.97) Vom Sein zum Seienden. Freiburg: Alber, S. 105; im Folgenden zitiert als EE.

[18] Von der Kategorie ‚weiblich’ sollte man sich allerdings nicht zu sehr blenden lassen. Dazu komme ich noch.

[19] Cf. Ethik und Unendliches: 53; Levinas sagt dort, daß die „Teilhabe am Männlichen oder Weiblichen das Eigentümliche eines jeden menschlichen Wesens sei“ und man die ontologische Differenz zwischen Männlichem und Weiblichem nicht als die Aufteilung in zwei Geschlechter sehen solle. Männlich wäre als Behauptung im Sein zu verstehen, weiblich als Anderes zum Sein. Das Weibliche ermöglicht damit echte Pluralität. Solche seinssprengende Pluralität ist auf den Menschen eingeschränkt. Sie bedarf eines ethischen, d.h. kommunikations- und anerkennungsfähigen Wesens.

[20] Krewani (90) ist in der Herausarbeitung der Differenz zwischen Frühwerk und reifem Schaffen der 60er und 70er Jahre im Prinzip zu folgen, auch wenn er die Differenz stark überakzentuiert.

[21] Krewani (90): 53 spricht davon, daß der ‚erotische Ansatz’ den Schriften EE und ZA zugrundeliegt. In TU entdeckt er einen ethico-erotischen Ansatz, dem schon nicht mehr Eros als theoretische Explikationsfigur dient.

[22] Hierin stellt sich Levinas sowohl gegen Heideggers endliche, wie gegen Platons ‚unendliche’ Lösung; cf. Spur: 79. Der in Platons Phaidon proklamierte „Sieg über den Tod durch das Denken“ (Spur:75) ist eine Scheinlösung, die dem Phänomen der Endlichkeit nicht gerecht wird.

[23] Die ganze Differenz zu Sokrates/ Platon tritt hier zutage. Sokrates gelangt in seiner Symposionerzählung über die erotische Liebe von einzelnen Individuen zur Liebe der Art und von der Liebe der Art zu jenem Einzelnen, das zugleich Allgemeines ist, zur Idee. Und in dieser Schau der Idee findet die Seele zu sich selbst. Deshalb ist der Tod bei Platon auch als im Grunde problemlos zu Überwindender gedacht (cf. Phaidon).

[24] Cf. a. Levinas Ethik und Unendliches, 54: „das Ich des Vaters hat mit einer Andersheit zu tun, welche die Seinige ist, ohne Besitz oder Eigentum zu sein“, wobei diese „Zukunft jenseits meines eigenen Seins“ nach Levinas „sehr wohl als Verhältnis zwischen menschlichen Wesen ohne biologische Verwandtschaftsverhältnisse“ zu begreifen ist“ (ebd. S.55).

[25] Viele meinen freilich, daß sich gerade daran auch die Schwäche des Levinas’schen ethischen Arguments zeige, da, was als Opfer und Verantwortung für die eigenen Nachkommen plausibel sei, in der inhaltlich nicht eingeschränkten Begegnung mit einem anderen Menschen seine Plausibilität verliert. Doch das ist hier nicht mein Thema. 

[26] Cf. Spur: 201 und 218f.

[27] Kierkegaard hat diese kategoriale Struktur des Phänomens, die unaufhebbar ist, wenn Liebe sein soll, in grandioser Anwendung auf Gott demonstriert. Man sieht unmittelbar: wenn der liebende Gott geliebt werden will, dann muß er den Anderen in diesem Punkt so frei machen wie sich selbst, oder umgekehrt, der Gott muß in Knechtsgestalt erscheinen. Diesen schönen Spekulationen, die allerdings tatsächlich zwingend aus der Struktur des Phänomens abzuleiten sind, kann ich leider hier gar nicht nachgehen und nachgeben. Cf. Kierkegaard Philosophische Brocken, S. 30: „was so leicht scheint, daß der Gott sich verständlich muß machen können, das ist nicht so leicht, wenn er nicht das Andersartige zunichte machen soll“.

[28] Cf. ZA:65. Diese Charakteristik des Phänomens ist ein Fixpunkt des Levinasschen Denkens. Es kann nicht verwundern, daß wir exakt dieselbe Phrase auch in EE: 118 finden.

[29] Cf. z.B. den Abschnitt: „Die Spur und die Illeität“ In: Spur: 230-235.

[30] Cf. TU: 397.

[31] TU: 371.

[32] Cf. zum Zusammenhang von Sprache und Gebot bei Levinas, Rauscher (2001) Sprache und Ethik, S. 277-287.

[33] Cf. zu dieser ‚Zweideutigkeit’ auch Wenzlers Nachwort zu ZA: Wenzler L. (289):77.

[34] TU: 380. Dies teilt sie mit dem Antlitz, das ebenfalls „reine Erfahrung“ ist (Spur: 206). Zu der damit verbundenen ethischen Heteronomie s. Reiter, J. (89): 109.

[35] Cf.: TU:375; Luce Irigaray spricht in ihrer assoziativen, phänomenorientierten „Lektüre“ des TU-Abschnitts „Phänomenologie des Eros“ davon, daß die Geste „zu dieser undefinierbaren Lust an der Faszination für den anderen, die nie gestillt, immer auf der Schwelle verharren wird, auch nach dem Eindringen in das Haus“, die Liebkosung ist. Irigaray (84; dt.91): 218.

[36] Bei Levinas verschränken sich die Überlegungen zum Ausdruck, zur Wollust und zur Zärtlichkeit; cf. dennoch speziell zur Liebkosung TU: 373-377, sowie Spur: 278-280.

[37] Cf. hierzu die Angleichung der verwandten Seelen an das ihnen gemäße Göttliche, wie es im Phaidros vorgestellt wird.

[38] Deleuze, Gilles (68; dt.92) Differenz und Wiederholung: 97; auch die philosophiegeschichtliche Kennzeichnung als Antihegelianismus entspricht aufs Genaueste Levinas.

 

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