Medienphilosophie - eine neue Grundlagenwissenschaft?*


1) Einleitung: Anmerkungen zu ‚Satzzeichenrhetorik’ als einem (hoffentlich) etwas fragwürdigen ‚Medium’ und zur Unterscheidung von Wichtigkeit und Fundierung

 

Mein Vortragstitel verrät mit dem Fragezeichen als Schlußpunkt bereits, worauf alles hinausläuft. „Medienphilosophie - eine neue Grundlagenwissenschaft?“ Wenn bei einer solch reduzierten Formulierung ein Fragezeichen steht, dann ist dies keine Frage, nein, eine Infragestellung. Bei einer Formulierung mit (gedachtem) Punkt wie etwa: ‚Medienphilosophie als neue Grundlagenwissenschaft’ könnte man - je nachdem - eine neutrale Beschreibung mit leichtem, subjektivem Fragezeichen oder eine subjektive Affirmation einer noch nicht ganz standfesten Standardposition erwarten. Ein Rufzeichen hinter der Grundlagenwissenschaft wäre hingegen immer, bei präsupponierter Überraschung des Publikums wie bei einer Positionsanzeige, rhetorisch nur als Affirmation denkbar. Zumindest akademisch. Falls wir nämlich nicht gut nietzscheanisch ein ironisches Rufzeichen setzen wollten, etwa: „Medienphilosophie? - welch artige philosophische Grundlagenwissenschaft!“ Das wäre nicht schlecht, aber im Gegensatz zu Nietzsche möchte ich doch lieber verstanden werden. Beim Fragezeichen ist jedenfalls im Grunde alles genauso klar wie beim Rufzeichen. Mit demonstrativer Verwunderung nehme ich also den Gedanken zur Kenntnis, daß Medienphilosophie eine Grundlagenwissenschaft, vielleicht gar die Fundamentaldisziplin der Philosophie sein können sollte und zeige dies mit einem Fragezeichen an, das eine Infragestellung meint.

Jenseits aller rhetorischen Finesse schicke ich so meine These im Klartext voraus: Medienphilosophie ist keine Grundlagenwissenschaft! – eher noch wäre die mediale Rolle von Satzzeichen ein Forschungsgegenstand der Medienphilosophie, wenn auch kaum ein originärer oder bedeutsamer. Doch sind Fundierung, noch jenseits der Schwelle, „wo der Spaten sich zurückbiegt“[1], und Expansion auf alles Mögliche hin reale Gefahren der neuen Mode ‚Medienphilosophie’.

Dabei geht die Zurückweisung des Anspruchs auf die Rolle einer extensiv ausgreifenden oder intensiv begründenden Fundamentaldisziplin bei mir Hand in Hand mit der Auffassung, daß die Medienphilosophie mit ihren zwei zentralen Fragen nach a) Medialität und Herausbildung medialer Strukturen und b) Philosophie der Medien (Plural!), sowie den Teilgebieten Medienästhetik und Medienethik eine der wichtigsten Fragestellungen gegenwärtiger Philosophie ist.

Damit wäre dann zumindest mein Vortrags-Bemühen um die Medienphilosophie wegen deren Wichtigkeit gerechtfertigt. Zugleich wird aber deutlich, daß eine Auffassung von der Medienphilosophie als einer Fundamentaldisziplin nicht etwa darin gründet, daß man dem philosophischen Bemühen um die Medien, beispielsweise um die Massenmedien, eine besondere Wichtigkeit oder Dringlichkeit zuschreibt. Nein! - auch bei unbestrittener Bedeutung steht die Positionierung als Fundament gleichwohl in Frage.

Ein Verständnis der Medienphilosophie als Fundamentaldisziplin und Grundlagenwissenschaft würde implizieren, daß aus der Erforschung und philosophischen Reflexion der Medien die Grundlagen für zahlreiche, wenn nicht alle Teildisziplinen der Philosophie gewonnen werden können, und/ oder daß sich eine ganze Anzahl verschiedener Disziplinen als Ausdifferenzierungen der Medienphilosophie darstellen lassen. Medienphilosophie müsste, wäre sie dergestalt Fundamentaldisziplin, das begriffliche Instrumentarium und die Methode für Reformulierungen grundlegender erkenntnistheoretischer oder auch ethischer und ästhetischer Positionen bereitstellen. Diese sollten durch solche Einbettung und Darstellung einen Gewinn an Klarheit der Formulierung, systematischer Stringenz oder gar inhaltlicher Bestimmtheit erfahren. Daß dies irgendwo geleistet wird, behauptet niemand, als programmatische Aufgabe wird es jedoch eingefordert. Eine solche Forderung ist zwar konsequent und stringent gedacht, wenn man denn schon eine Fundamentaldisziplin Medienphilosophie behauptet. Bevor man sich freilich zu einer so gewaltigen Aufgabe entschließt, gilt es zu prüfen, ob sie sinnvoll in Angriff genommen werden kann.

 

2) Zwei unterschiedliche Wege und ein nicht unproblematisches Resultat
 

In der akademischen Diskussion haben sich zwei verschiedene Wege herausgeschält, die zu einer Medienphilosophie als umfassender Grundlagenwissenschaft führen können: der erste - und nur diesen werde ich etwas ausführlicher charakterisieren - verfolgt unmittelbar das Programm, die Medienphilosophie als Fundamentaldisziplin zu etablieren. Mike Sandbothe kennzeichnete in seiner Pragmatischen Medienphilosophie diese Gruppe der ‚Fundamentalisten’ durch die Namen Margreiter, Krämer und Seel[2], wobei ich in den Stellungnahmen der beiden Letztgenannten nicht jene - meines Erachtens bedenklichen - Grundzüge der Etablierung einer Fundamentaldisziplin mit problematischem, allumfassenden Gegenstandsbereich feststellen konnte, sondern bestenfalls Indizien dafür entdecken. Mir schien bei den Angesprochenen eher die Reflexion fundamentaler Strukturen von Medialität und in diesem Zusammenhang eine Begriffsbestimmung von ‚Medium’ angezielt, was etwas ganz anderes bedeutet als die Subsumtion von Bereichen unter eine Philosophie der Medien. Doch mag solch allgemeine Begriffsklärung den Hintergrund ausmachen für das diffuse, den Diskurs bestimmende, rhetorisch aufpolierte Gefühl, daß dem Medium als Anfang, Mitte und Ende in einer umfassenden Medienphilosophie Rechnung getragen werden müßte. Sibylle Krämer hatten wir jedenfalls mehrfach hier in Mainz zu Gast mit problemorientierten medienphilosophischen Vorträgen ohne diesen Fundierungsanspruch. Sandbothe freilich, der Propagator einer pragmatischen Medienphilosophie, zählt Sibylle Krämer zu den Fundamentalisten und sucht dies zu begründen: Zwar mache Margreiter, so Sandbothe „den Anspruch der Medienphilosophie auf den Status einer neuen Fundamentaldisziplin explizit“, doch Sybille Krämer rücke „deutlicher noch als Margreiter (...) die Medienphilosophie in die Nachfolgeposition der bisher als Fundamentaldisziplin geltenden Sprachphilosophie.“[3] Ich bin mir da nicht so sicher. Man kann nämlich durchaus mit guten Gründen eine Erweiterung des sprachphilosophischen Aufmerksamkeitsfocus hin auf Medienphilosophie fordern oder eine herausgehobene Stellung der Medienphilosophie konstatieren, ohne solche Grundlegungsansprüche damit zu verknüpfen.

Behauptet man jedoch, daß die Medienphilosophie in ähnlicher Weise wie die Sprachphilosophie operieren könnte, oder diese - en passant - gar fundieren, dann wäre dies schlicht falsch. Ist es in vielen Wissensbereichen möglich, die Sinnhaftigkeit von Sachfragen gemäß der Möglichkeit und Gestalt einer wahrheitswertfähigen Sprache für die entsprechende Problemdarstellung zu bewerten und damit in systematisch fruchtbarer Weise, theoretische Fragen der Disziplin als Fragen nach der Sprache zu stellen, so bietet die Medienphilosophie nicht das mindeste Instrumentarium dafür. Die Fragen nach Grundkategorien, Erkenntnismöglichkeit und Theorieaufbau anderer Disziplinen lassen sich allein schon deshalb nicht als Frage nach den Bedingungen der Medialisierung reformulieren, weil wir keinen entsprechenden kategorialen Apparat in der Medienphilosophie kennen. Ich komme darauf noch zurück.

Eine Verführung zu übertriebenen - für meinen Geschmack auch übertrieben modischen - Thesen liegt in der Form der Geschichte (Story) begründet, in der wir uns die Entwicklung, in diesem Fall die Historie der Philosophie, vor Augen stellen. Wie so oft ist es im Fall der Medienphilosophie eine Art Eroberungs- und Erfolgsgeschichte. Dies führt zum einen dazu, dass am Schluß nahezu alle Medien feuilletonistisch mit einer Philosophie umkleidet werden, zum anderen aber auch dazu, dass eine Fort- und Höher-entwicklung konstruiert wird. Dabei eilt man dann beschreibungsleicht von der Bewußtseinsphilosophie zum linguistic - und von da zum medial turn und versteht dies zugleich als voranschreitende Fundierungsbewegung. Doch Krämer lese ich im Gegensatz zu Sandbothe nicht fundamentalistisch, mag dies auch einer weiteren Klärung bedürfen[4]. Ausklammern möchte ich auch den, von Sandbothe ebenfalls in die Richtung einer Etablierung von Medienphilosophie als Fundamentalphilosophie verorteten Martin Seel. Man kann nämlich durchaus, wie Seel „die generelle Medialität unserer Weltzugänge“[5] behaupten - ich würde ihm darin z.B. zustimmen -, ohne Medienphilosophie als eine fundierende Generaldisziplin zu behaupten. 

Reinhard Margreiter, der die These von der Medienphilosophie als neuer philosophischer Fundamentaldisziplin direkt vertritt und mehrere kleine Aufsätze mit programmatischem Gestus veröffentlicht hat, scheint mir gerade die falschen Schlüsse aus einer fundamentalen Medialität zu ziehen, indem er von daher den Gegenstandsbereich einer Medienphilosophie als Philosophie der Medien bestimmt.

Ein hochinteressanter Fall ist daneben Matthias Vogel. Bei dem von Sandbothe inhaltlich noch nicht erfaßten[6] Vogel, der in seiner Monographie Medien der Vernunft mit dem Titel bereits anzeigt, daß er den gesamten Raum der Vernunft aus der medialen Perspektive zu konstruieren wünscht, bin ich mir nicht sicher, was sein Versuch „einer grundbegrifflich eigenständigen Entwicklung des Medienbegriffs“, der den Schlüsselbegriff des Mediums vor der Sprache situiert, impliziert[7]. Einiges deutet darauf hin, daß Vogel die Medienphilosophie als Sprachphilosophie und Semiotik fundierende Fundamentalwissenschaft verstanden wissen will, bei der die Sprachen eine echte Teilmenge der Medien erster Ordnung sind, neben nichtsprachlichen Medien wie Musik, Tanz, Malerei etc.[8]. In jedem Fall kommt bei Vogel jedoch nicht die fatale Tendenz zum Tragen, heterogenste Medien unter dem Dach einer Theorie inkorporieren zu wollen. Ein Standardfehler zahlreicher mehr oder weniger fundamentaler Theorien seit den intuitiven Plädoyers Marshall McLuhans.

Sandbothe also sieht die drei Genannten, Margreiter, Krämer, Seel in einer Perspektive und Vogel müßte man ebenfalls so einordnen, auch wenn er seinen Fundierungsanspruch mit durchgeklärter Begrifflichkeit verbindet. Sandbothe kritisiert diesen von ihm als theoretizistisch gekennzeichneten Versuch, Medienphilosophie „(ähnlich wie historisch zuvor Erkenntnis- Wissenschafts- und Sprachphilosophie) als neue Fundamentaldisziplin“ (25f) zu entwerfen. Eine Kritik, der ich mich nur anschließen kann. Angesichts der Enttäuschungen mit dem umfassenden Fundierungsanspruch bei früheren Schlüsseldisziplinen sucht Sandbothe nach alternativen Möglichkeiten, die er vornehmlich in einer pragmatischen Neuorientierung entdeckt. Sein Anliegen, Medienphilosophie als „transversale Schnittstellendisziplin“ zu entwerfen (2001: 13), schraubt den medialen Welterklärungs- und Denkbegründungs-anspruch der Medienphilosophie zunächst etwas zurück.

Dennoch möchte ich Sandbothe als Proponenten eines zweiten Wegs, der zur Medienphilosophie als umfassender Fundamentaldisziplin führt, bezeichnen. Zwar gibt es bei ihm keine - behauptete - theoretische Notwendigkeit, etwa Vernunft, Sprache, Kunst, Bewußtsein, Technik und was nicht noch alles[9], medientheoretisch zu fundieren, er sinnt auch keinen Herleitungszusammenhang an, doch die Situierung als Fundamentaldisziplin erwächst bei ihm als praktische Folge aus der Pragmatisierung unseres Mediengebrauchs im Internet. Indem er das „System der Medien“ im weiten Sinn aus „(1) sinnlichen Wahrnehmungsmedien (wie Raum und Zeit), (2) semiotischen Kommunikationsmedien (wie Bild, Sprache, Schrift und Musik) und (3) technischen Verbreitungsmedien (wie Stimme, Buchdruck, Radio, Fernsehen und Internet)“[10] entwickelt, wird ihm unter der Hand eine umfassende, heterogene Vielfalt zum Gegenstand der Medienphilosophie. Da er dabei dann die pragmatische Relativierung absoluter Wahrheitskonzeptionen mit medialer Relativierung von Repräsentationen koppelt, erhalten wir eine pragmatisch legitimierte Fundierung von Philosophie und Wirklichkeit durch die Medien im Plurilog des Internet[11]. Philosophie wird selbst zum Medienereignis, bzw. - und das ist der eigentliche Punkt - erscheint als pragmatisches Ergebnis vielfältiger medialer Überschneidungen. Eine ‚experimentelle Medienepistemologie’ erkundet gleichsam, welche epistemologischen Grundannahmen die Medien unserem Welt- und Selbstverständnis vermittelnd vorgeben. Indirekt verstößt Sandbothe damit gegen seine eigene, erste Leitmaxime einer pragmatischen Medienphilosophie. Die besagt, daß es zu vermeiden ist, daß die Wörter Medium und Medien als epistemologische Schlüsselbegriffe aufgebaut werden[12]. Sandbothe würde vermutlich auf diese Passage seines Buches verweisen und daneben seine differenzierten Analysen sowie die bekundete Skepsis gegenüber dem Internet als umfassendem und definierendem Hypermedium[13] als Argument gegen meine Deutung bemühen. Doch auch bei der Sandboth’schen Depotenzierung theoretischer Herleitungsansprüche läuft dank der transmedialen Verfassung des Internet die „Pragmatisierung des Mediengebrauchs“ der oben genannten Medienbereiche 1) - 4) auf eine - in jedwedem Sinn - ‚praktische’ Fundierung hinaus[14]. Natürlich wird durch meine Beobachtung nicht die generelle Akzentverschiebung Sandbothes, die die Aufmerksamkeit von theoretischen Fundierungsansprüchen auf den Umgang mit technischen Verbreitungsmedien und Handlungsfolgen lenkt, invalidiert. Doch ich wollte deutlich machen, wie man, im Fall Sandbothes praktisch unter der Hand, bei der Bekämpfung fundamentalsystematischer Universalisierungsansprüche der Medienphilosophie zu ziemlich universalen Fundierungen gelangen kann. Jedenfalls wird der Medienphilosophie auch bei Sandbothe ein viel zu weiter, unklarer, vielleicht sogar umfassender Aufgabenbereich auf der falschen Basis zugeschrieben. Vom Fingerzeig Gottes über die Philosophie (aller Zeiten) zur Computer-‚Maus’?

Ich möchte die orientierende Übersicht mit dieser Anzeige auch schon nahezu abschließen. Wir können, wenn wir uns der Sandbothe-Unterscheidung von theoretizistisch und pragmatisch bedienen, demnach zwei Wege einer Disziplinetablierung oder - situierung unterscheiden. Beide Wege etablieren Medienphilosophie im Prinzip als Grundlegungsdisziplin mit einem umfassenden Gegenstandsbereich und fundamentalen, entweder flachen, - bei Sandbothe - oder elaborierten - bei Margreiter und Vogel - Hierarchiestrukturen.

 

3) Noch fundamentaler? - Alles Simulation!  Philosophie als Medienhype jenseits von wahr - falsch und real – virtuell
 

Am Rande möchte ich noch auf eine dritte Weise aufmerksam machen, die geeignet ist, der Medienphilosophie zu einem faktischen Fundierungsstatus zu verhelfen. Doch löst diese Position letztlich die Philosophie in praktizierte Medienkonstruktion bzw. - dekonstruktion auf und eine umfassende Medienphilosophie wird von den Vertretern als theoretischer Angang für unmöglich gehalten, so daß dies ein selbstaufhebendes Fundament ist. Mit „Es gibt keine Medientheorie“ beginnt Baudrillard sein „Requiem für die Medien“ und zeichnet nach diesem „Introitus“ die Medien in unklarer Weise als das aus, was „die Antwort für immer untersagt“, um dann zu fordern, daß der Begriff des ‚Mediums’ verschwinden muß[15]. Das entspricht der Weise wie in den klassischen Disziplinen Ontologie und Erkenntnistheorie die fundamentale These: ‚Es gibt nichts und wenn es etwas gäbe, könnte man es nicht erkennen’, die der Sophist und Rhetor Gorgias dem Seinsdenken des Parmenides entgegenstellte, als Selbstaufhebung der Disziplinen verstanden werden könnte.

Jedenfalls geht es den Vertretern des 3. Wegs gar nicht um eine Disziplin Medienphilosophie. Doch die Thesen über Wirklichkeit als Funktionsgröße der Medienwelt lassen jede Philosophie zu einer Art angewandter Medienphilosophie gerinnen. Jean Baudrillard steht für eine solche Position und man kann Ansätze dazu bei dem deutschen Medien- und Kulturtheoretiker Norbert Bolz entdecken, der sich aber ohnehin an Baudrillard orientiert.

Baudrillard spricht nicht nur von der „göttlichen Referenzlosigkeit der Bilder“[16], er verfolgt daneben den Gedanken, der für viele - einschließlich Margreiter und Sandbothe - eine große Überzeugungskraft hat, daß nämlich die Differenz zwischen ‚wahr’ und ‚falsch’ im Grunde eine Scheindifferenz sei. Und Baudrillard verfolgt diesen Gedanken radikal genug, um die gleiche Problematik für das Reale und das Imaginäre zu konstatieren. Realität wird nach Baudrillard immer erst durch Medien wie Bücher, Zeitungen, Film und Fernsehen erzeugt, behauptet, durchgesetzt. Jenseits der Medien, die unsere heutige Medienwirklichkeit bestimmen, ist es daher unsinnig die Differenz Realität - Imagination überhaupt in Anschlag zu bringen. Wenn aber die Differenz zwischen Realität und Imagination in medienabhängiger Weise erst relativ zu den vermittelnden Medien gewonnen werden kann und wenn die Simulation den ganzen Raum der Repräsentation einschließt, dann ist zwar noch immer unsicher, ob Medienphilosophie als eine Fundamentaldisziplin konstruiert werden kann. Doch da die Simulation „nichts mit der Logik der Tatsachen gemein hat“[17] stellt sich Philosophie dann grundsätzlich als Medien-Rhetorik dar.[18] Die Philosophie ist als solche selbst nur ein Medienhype. Baudrillard wurde für seine Grundidee von der Aufhebung der Wirklichkeit in medialen Räumen durch „Simulation, die alle Referentiale liquidiert“ berühmt - und berüchtigt - und er betont: „Es geht nicht mehr um die Imitation, die Verdoppelung oder um die Parodie. Es geht um die Substituierung des Realen durch Zeichen des Realen“[19] - Hyperrealität.[20] Doch solche Auflösung der Realität in Folge der De- und Re-konstruktion von Zeichenwerten motiviert auch zahlreiche andere Medientheoretiker wie eben Bolz.

Aus anderen Gründen bestimmt Boris Groys in seinem kürzlich erschienen Buch „Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien“ die Wirklichkeit als sekundär. Bei Groys ist die Wirklichkeit sekundär zu der Tätigkeit der Archive und Museen, die ihrerseits nicht unplausibel als Sammlung des Besonderen und Bedeutungsvollen angesehen werden[21]. Ich kann und will nicht den Grundfehler von Groys’ im Prinzip differenzierungsreicher phänomenologischer Blicknahme der Medien -eigentlich besser: der Medialität - ausbreiten und diskutieren. Im Prinzip wählt er mit dem ‚Archiv’ als Schlüsselbegriff einen falschen Horizont für die Betrachtung von Bedeutungs- und Zeichenphänomenen, auch wenn dieser Begriff ein Charakteristikum des Medialen recht gut benennt. Die Archivierungsarbeit erzeugt bei ihm sammelnd eine Bedeutungswelt, und definiert dadurch zugleich einen nichtigen banalen Rest: die Wirklichkeit. Dies ist zwar in gewisser Weise eine Umkehroperation zu Baudrillard. Doch man erkennt die Strukturparallele sofort, wenn man die bedeutungsvolle Repräsentationswelt in naheliegender Weise aufwertet, aufwertet zu dem, was, mediengeneriert - denn die Archivierung ist eine schlichte Medialisierungsoperation - wirklich zählt. Die schlichte Wirklichkeit wird so durch die bloße Tatsache der Einschreibung ins Archiv zum Medium, zu einem Träger des Bedeutungsvollen. Auf dieser Ebene könnte man mit Baudrillard sagen, daß die bedeutungsvolle Wirklichkeit, im Unterschied zur schlichten, die Simulation ist.

Der Blick auf die Kunst kann diese Struktur beispielhaft verdeutlichen. ‚Verklärung des Gewöhnlichen’ nannte Arthur C. Danto[22] die Hebung des Alltäglichen in den Bedeutungsraum der Kunst, d.h. die Erhebung ins (museale) Archiv und zugleich in eine höhere ontologische Dimension. Das erinnert dann an: Wahre Wirklichkeit (Ontos on), mit dem Anspruch: Immerwährend (Aei on) - nur wird dieser Platonismus zur Konstruktion depotenziert. Freilich, wie bei Platon die höhere Wirklichkeit der Ideenwelt unter Verdacht geriet, kommt erst recht Groys bei seiner operalisierten medialen Erzeugungsmaschinerie für Bedeutung, dem Archiv, zur Frage: was steckt dahinter? Welcher mediale Träger - in rhetorischer Äquivokation verwendet Groys Träger für materialen Träger, Zeichenbenutzer und Systemgarant - garantiert die unendliche Bedeutung? Was bleibt, ist der ontologische Verdacht, daß nichts sei, zumindest nichts Bedeutungsvolles, ein Verdacht, den Groys einen medienontologischenVerdacht nennt. Der Verdacht gegen die Künstler des ‚objet trouvés’ läßt sich da wiederfinden. Analog gelangt Groys in seiner manchmal arg literarischen Theorie zu dem aparten Sherlock-Holmes-nahen Schluß: „Verdacht ... ist das Medium der Medien“[23].

Weshalb Baudrillard, Groys und die anderen a-theoretischen Theorie-Ekstatiker, wie ich meine sogar zu Recht, mit ihren arg überpointierten Thesen ein Interesse verdienen, liegt weniger daran, daß die Theorien konsistent im Ausgang von Medienphänomenen aufweisen, wie die Wirklichkeit und alles andere durch Medienwirkungen bestimmt werden. Nein! Viel bedeutender ist, daß Baudrillard, Bolz, und auch der dazu querliegende und doch auf einer höheren Ebene parallel anzusiedelnde Groys, signifikante Züge unserer sozialen Organisation als Pragmatik unseres mediengesteuerten Wirklichkeitsbezugs richtig beschreiben. Bedeutung wird beständig aus der Tatsache und der Form der Medienpräsenz von Objekten hergeleitet und der Großteil der Sachverhalte, auf die wir uns als bestehende Sachverhalte und damit Wirklichkeit beziehen, wird durch die Massenmedien vermittelt. Um festzustellen, ob etwas sich ‚wirklich’ so verhält, greift man nach dem Fernsehen zum Magazin Spiegel, nach der Bildzeitung zur Süddeutschen Zeitung, wissenschaftliche Thesen überprüft man durch Zitathäufigkeit und Publikationsmedium usw. usf. Übrigens ist es durchaus vernünftig, praktisch so zu verfahren. Man kann das nur nicht als generelles Prinzip denken. Keineswegs würde denn auch eine Philosophie dieser Medien mediale Bedingungen für Ontologie und Erkenntnis finden, die nicht auf davon unabhängige Strukturbeziehungen zwischen Sprache und außersprachlicher Wirklichkeit Bezug nehmen. Es wird im Übrigen auch nur in seltensten Fällen keine medientranszendente Wirklichkeit in Anspruch genommen, selbst wenn es manchmal so scheint, als sei das Pluriversum der Medienkonstrukte die letzte Referenzebene. Doch eben aus Generalisierung und Überpointierung solcher Einzelfälle verschafft Baudrillard seinen Thesen von der Medienwelt als Umgebungs - und Bedingungsraum einer unaufhebbaren Simulation Aufmerksamkeit und Verbreitung. Die praktische Möglichkeit der ausweglosen Verstrickung im Netz der Medien wird bei Baudrillard zur Notwendigkeit des medialen Netzes als einziger Bezugsebene. Wenngleich ohne den Anspruch von systematischer Medienphilosophie oder Medientheorie.

Baudrillards Theorie scheitert zwar als allgemeine Behauptung, denn die Unterscheidung Wirklichkeit - Virtualität funktioniert, - wenn auch nicht immer, so doch in aller Regel. Und die Wirklichkeit ist auch nicht im Ergebnis lediglich das banale Korrelat und Substrat unserer Bedeutsamkeits-Transfigurationen wie Groys pointiert deklariert. Scheitert also die Theorie, so ist das beschriebene Symptom für die Gesellschaft aber doch charakteristisch! Die Wirklichkeit, die zählt, die Wirklichkeit, der soziale Bedeutung beigemessen wird, insofern sie unser politisches und soziales Verhalten steuert, diese Wirklichkeit scheint immer mehr jenem in den Medien vor allem als Bild offerierten, bearbeiteten, aufbereiteten und schließlich massenmedial transferierten Wirklichkeitsausschnitt zu entsprechen. So gesehen fungiert dann ein virtuelles Konstrukt als ausgezeichnete Bezugswelt. Das beinhaltet jedoch keine theoretische Bestätigung der Thesen über Virtualisierung und Aufhebung der Differenz zwischen Sein und Schein, sondern eine praktische Ersetzung der komplizierten - und kompliziert zu ermittelnden - realen Welt als Referenzwelt durch eine ausgezeichnete, über die Massenmedien definierte banale Bedeutungswelt als Referenzpunkt. Die Wirklichkeit scheint hierbei, nicht nur bei Wahlen, sondern generell, zumeist zu spät zu kommen gegenüber den Medienbildern, die mit Echtzeit zu überzeugen wissen.

Diese, nun grob charakterisierte, dritte Form, bei der uns die Medien-Reflexion plötzlich das Medium als fundierende Größe ähnlich dem Sein in der Philosophie des Seins[24] beschert, lasse ich deshalb beiseite, weil dort trotz mancher Ähnlichkeiten - vor allem auch ähnlich problematischer Fehlschlüsse wie beim ersten Weg - im Grunde gar kein Interesse an der Disziplin Medienphilosophie besteht, sei es, daß die Philosophie wegen der aufgegebenen Wahrheitsfrage insgesamt mit einem Fragezeichen versehen wird, sei es, daß die Betrachtung der Medienproblematik gleichsam zufällig alle weiteren Fragen zu Fragen nach den Medienfolgen transformiert.

 

4) Margreiters Geschichte der neueren Philosophie als Vorstufen zur Medienphilosophie
 

Stattdessen will ich nun anhand einer kurzen Betrachtung der direkten Bemühungen Margreiters um die Etablierung der Medienphilosophie als Grunddisziplin verdeutlichen, was das Problematische eines solchen Versuchs ist, und warum dies und in welchem Sinn dies tatsächlich fehlerhaft ist. Margreiter hat seine Überlegungen vornehmlich in zwei kurzen Aufsätzen von wenigen Seiten publiziert[25]. Ein dritter Aufsatz von 2002 mit sehr programmatischem Titel „Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir Medienphilosophie“ ist lediglich eine, nach den Einleitungssätzen bis in die Formulierungen hinein identische Variation von „Realität und Medialität - zur Philosophie des ‚Medial Turn’“ aus dem Jahre 1998, deren Neuheitswert mit der Titelgebung bereits völlig ausgeschöpft wurde. The Medium is the Message? Medienphilosophisch hat das einen gewissen Charme, da Margreiter die These vertritt, daß Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie usw. medienphilosophisch reformuliert werden müßten, während ich dagegen bin und meine, daß dies im besten Fall redundant sein würde. Vielleicht sind wir ja in der Sache viel näher beisammen und unsere Differenz liegt hauptsächlich in der unterschiedlichen Hochschätzung von Redundanz. Ich will mich aber in keine Polemik vertiefen.

 

a) Philosophiegeschichtsschreibung im Hinblick auf und zum Nutzen von Medienphilosophie

An Margreiters problematischer Geschichtsschreibung der Philosophie, die in einem medial turn gipfelt, läßt sich jedenfalls m.E. der fehlerhafte Ansatz in der Positionierung der Medienphilosophie in verschiedener Hinsicht, d.h. sowohl hinsichtlich des Gegenstandsbereiches wie hinsichtlich der entwicklungsgeschichtlichen Notwendigkeit besonders gut verdeutlichen.

Der Versuch einer geschichtsphilosophischen Entwicklungslinie ist dabei der erste Problempunkt. Margreiter zeichnet eine Linie von Kants transzendentaler Bewußtseinsphilosophie zum linguistic turn mit den Vorläufern Humboldt, Nietzsche, Mauthner, Sapir, Whorf, dem Protagonisten Wittgenstein und allen möglichen ergänzenden Zusatznennungen von Jakobson über Saussure bis zu Charles Saunders Peirce und Walter Benjamin, und diese Linie vom Bewußtsein zur Sprache entfaltet er über Cassirer und den symbolic turn hinaus weiter zum medial turn.  

Margreiter scheint dabei so etwas wie eine natürliche Entwicklungslinie mit einer Steigerung des Medienkoeffizienten anzunehmen. Doch während bei der Hinwendung von der Philosophie des Bewußtseins zur Sprache noch ein direkter Zusammenhang mit der Problemvorgabe zu sehen ist[26], verschwindet dieser direkte Problemzusammenhang im Voranschreiten auf dieser Linie. Die Einbettung der Sprache in allgemeine Symbolsysteme brachte jedenfalls für die Sprachphilosophie nur wenig Ertrag in ihren methodologischen Prinzipien oder in ihren Sachproblemen. Eher gewann man umgekehrt eine gewisse Vorstellung davon, was man denn unter dem Etikett Symbolsystem wie behandeln wolle, indem man mit Hartnäckigkeit die Sprache bemühte. Dazu kommt, daß im Blick auf die faktische Geschichte der Disziplin, die Medientheorie sich historisch keineswegs aus der erkenntnistheoretischen Fragestellung nach dem Zusammenhang von Wirklichkeit und Denken entwickelte. Nicht die Vertiefung der Problematik von Welterfahrung und Bewußtseinsform unter Berücksichtigung des Zusammenhangs von Sprache und Denken führte zur Medienphilosophie. Vielmehr zeigt sie sich als Resultat aus der Reflexion auf die kulturelle Bedeutung der Massenmedien und die Überlegungen hinsichtlich der Wirkung der technischen Darstellungs- Speicherungs- und Verbreitungsmöglichkeiten auf die Gesellschaft. 

Margreiters Emphase hinsichtlich des medial turns, den die Philosophie in Erfüllung ihrer geschichtsphilosophischen Bestimmung und systematischen Vollendung anscheinend mit Notwendigkeit anstreben muß, überträgt nahezu das aristotelische Modell der Erkenntnis, wonach das Fundamentalste in der Erarbeitung des Wissens als das Spätere kommen muß. Die späte Blüte der Medienphilosophie gewinnt so Zeichencharakter. So wie das bedeutsame Allgemeine und systematisch Frühere bei Aristoteles erst als zeitlich Späteres aus den vorgängigen Einzelfällen zu gewinnen ist, erscheint die Medienphilosophie als notwendigerweise späte Frucht, mit Kant als erstem, sich seines Status noch unbewußten Medienphilosophen. Es ist dies jedoch, wie auch immer es um Kant stehen mag, ein fälschlich angenommener Instantiierungsfall des aristotelischen Prinzips, wie ich meine. Die Bedeutung der Medienphilosophie folgt sicher nicht aus systematischen Gründen - es sei denn Baudrillard und Gorgias hätten mit ‚Nichts ist’ nachweisbar recht und die Philosophie arbeitet sich mit und seit Kant daran ab. Vielmehr resultiert die aufkommende Bedeutung der Medienphilosophie aus der praktischen Wichtigkeit der technischen Massenmedien für die Ausgestaltung des Lebens. Und daß Medienreflexion insgesamt erst so spät zum Tragen kommt, hat weniger mit der spekulativen Reflexionstiefe zu tun, denn mit der technisch späten Frucht ‚neue Medien’. Diesen Bereich gab es in der Form eben noch nicht und Medienphilosophie gewinnt ihre Wichtigkeit aus der praktischen Bedeutung dieser neuen Medien als Bereichsphilosophie. Margreiter ist es jedoch ein Anliegen, gerade diesen Charakter einer Bereichsphilosophie zu bestreiten und Medienphilosophie als fundierenden Schlußstein der Denkentwicklung zu präsentieren.

Der erste fragliche Punkt in der Etablierung der Medienphilosophie ist demnach die zur Entwicklungsgeschichte des philosophischen Denkens hochstilisierte geschichtsphilosophische Positionierung der Medienphilosophie. Es gibt in der Medienphilosophie eine zum Teil unbewußte Tendenz, die Philosophiegeschichte als eine Art Geschichte des Mediums ‚Philosophie’ zu begreifen, was beispielsweise auch die relativ ausführliche Darstellung der „Geschichte der philosophischen Disziplinen“ bei Sandbothe und den Entwicklungsgang der ersten Kapitel - von Descartes über Kant und Mauthner zu Frege - in Frank Hartmanns Medienphilosophie bestimmt[27]. Die Rede vom Medium ‚Philosophie’, so vertraut sie ist, ist jedoch nicht unproblematisch, und man sieht unmittelbar, wie leicht Medienphilosophie auf dieser Basis zu übersteigerten Fundierungsansprüchen gelangen kann.

 

b) Das Problem des Gegenstandsbereichs einer Philosophie der Medien - kein leichter Schritt von der Eigenschaft ‚Medium’ zu relevanten Medien

Den kritischen Vordenker Immanuel Kant reklamiert Margreiter also in Gegenakzentuierung zum Seinsdenker Parmenides als „ersten Schritt in Richtung auf einen medial turn“, da sich das Denken bei Kant nicht auf eine Realität an sich bezieht, sondern auf deren ‚Erscheinung’, „also auf das Medium“[28]. Das ist so richtig wie falsch und stilisiert Kant als eine Art systematischen Gorgias, dessen ‚Nichts’ modifiziert als ‚Ding an sich’ auftritt. Leider gelangt Margreiter zu keiner klaren Bestimmung, doch man darf annehmen, daß er den Ausdruck ‚Medium’ auf das Bewußtseins-Konstrukt gemäß den Bedingungen der Wahrnehmung und der Gegenstandskonstitution bezieht. Die Bedingungen der Erkenntnis oder des Ins-Bewußt-sein-tretens kann man, meine ich, durchaus als Rahmen verstehen und dementsprechend von einer medialen Verfaßtheit sprechen. Doch kann das Bewußtsein deshalb sinnvoll als ein Medium neben anderen Medien oder gar als Eckstein einer Medienphilosophie bezeichnet werden?

Wir stoßen hier auf den zweiten Problempunkt in Margreiters Bestimmung der Disziplin Medienphilosophie. Das Insistieren auf der Bezeichnung ‚Medium’ für die Gegebenheitsweise eines unerkennbaren ‚Ding an sich’ im menschlichen Bewußtsein verführt zu einer hoch problematischen Ausweitung des Gegenstandsbereiches der Medienphilosophie. Medium bezieht sich hier auf die grundsätzliche anthropinale Verfaßtheit, denn die im Medium vermittelte Außenwelt ist die Außen-Welt. Eine andere gibt es nicht. Dieses völlig transparente Bewußtseinsfenster auf die Welt hat praktisch nichts zu tun mit unserer Erfassung der Welt in Wort, Bild und Schrift und einer medialen Vermittlung, die von uns alternativ handhabbar und nutzbar wäre, einer Vermittlung durch Medien, deren Spuren und deren Differenzen zu anderen Medien wir analysieren, beschreiben und funktional nutzen können. Greift man auf Sibylle Krämers Kennzeichnung des Mediums als unbeabsichtigte Spur zurück, die einen „Überschuß an Sinn“[29] vermittelt, dann kommt dem Kantischen ‚Medium Bewußtsein’ gar keine Bedeutung zu. Das widerspricht nicht dem Befund, sondern bestätigt ihn vielmehr, daß das Medium in diesem Fall durchgreifend konstitutiv ist. Beides zusammen zeigt an, daß wir eine mediale Struktur aufweisen können, die für eine angezielte Philosophie der Medien als Gegenstand einer systematisch fruchtbaren Fragestellung irrelevant ist. Ein wenig ähnelt der Fehler, ein völlig transparentes Medium unter die Menge anderer Medien einzuordnen, der Versuchung, analytische Sätze als Wahrheiten über die empirische Welt zu verstehen.

Hebt man die Transzendentalphilosophie von der Metaphysik ab, indem man als Leistung die These von der Vermitteltheit der Erkenntnis gemäß den Bedingungen des denkenden Subjekts herausstreicht, erhält man zu billig das Bewußtsein als eines der in einer Medienphilosophie zu betrachtenden Medien. Nicht daß an dieser Etikettierung ‚Medium’ prinzipiell etwas falsch wäre. Doch Medienphilosophie kann und sollte nicht als Philosophie aller Gegenstände, die als ein Medium verstanden werden können, begriffen werden. Das wird an diesem Fall, dem Fall Kant, besonders deutlich. Weder gibt es eine Medienphilosophie, deren kategorialer Apparat es ermöglichte, fruchtbare Frageperspektiven zu formulieren, noch läßt sich umgekehrt von diesem transparenten ‚Medium’ her eine umfassende Perspektive für andere Medien und die Etablierung einer Medienphilosophie gewinnen. Ein Medium, das als Bedingung der Möglichkeit auf die erfahrene Wirklichkeit hin völlig transparent ist, interessiert nicht als ein Medium unter anderen sondern als Gegebenheit. Es wäre so, als würde man sich für Brillen - Sonnenbrillen, gefärbte Brillen, Fenstergläser, Vergrößerungsgläser, Datenbrillen etc. - interessieren, immer bezogen auf deren alternative Nutzung durch ein sehendes Subjekt, und dann das Auge - oder gar das visuelle Zentrum im Gehirn - als Brille untersuchen. Das ist im besten Fall problematisch zu nennen. Doch Margreiter sieht gleichsam im Auge den Anfang der Brille, sprich, in der Transzendentalphilosophie den Beginn des medial turn[30].

Werfen wir nun einen kurzen Blick auf die erwähnte, verstärkte Wendung zur Medienphilosophie im linguistic turn. Man muß sicher zugeben, daß sich mit der Betrachtung der Sprache als Medium die Situation für eine medienphilosophische Legitimation wesentlich verbessert. Die Sprache in ihrer Eigenschaft als Medium der Kommunikation erfüllt die Bedingung einer sinnvollen Thematisierung ihrer medialen Bedingungen und Möglichkeiten. Das Medium ist als Medium wählbar und gestaltbar, wir können die Differenz zwischen dem medial Vermittelten und dem unabhängig davon Gegebenen - wenigstens zumeist - festmachen und wir können die Wir­kungen gemäß variabler Parameter betrachten. Dennoch kann man auch hier seine Zweifel haben, ob Sprache sinnvoll als ein Medium unter anderen zu behandeln ist. Ob gar Medien­philosophie eine fruchtbare Perspektive auf die Betrachtung der Sprache (Rede) öffnet, ist sogar mehr als fraglich. Denn nur wenn Medienphilosophie Kategorien, Klassifikationen und Methoden hätte, die fruchtbar anzuwenden, oder gar unverzichtbar wären für die Sprachbe­trachtung, hätte es Sinn die Sprachbetrachtung medienphilosophisch zu reformulieren oder zu ergänzen. Margreiter meint nun zwar, durchaus konsequent, daß die Mediendiskussion „eine medienphilosophische Re­formulierung zentraler Fragen der Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Kulturphilosophie, Anthropologie und der theory of mind“ eröffnet[31]. Doch faktisch kennen wir nur interes­sante Kontrastierungen des Mediums der gesprochenen Sprache zu anderen Medien wie Bild oder Körper, die in Differenz zum Musterfall der gesprochenen Sprache hinsichtlich ihrer medialen Leistungen - nicht selten mangels eigener Kategorien in den kategorialen Strukturen der Sprache (hier gibt es noch viel Emanzipationsarbeit) - betrachtet werden. Oder Verände­rungen in den technischen Mitteln der Sprachverbreitung und Konservierung werden vor der Folie des natürlichen Mediums ‚gesprochene Sprache’ betrachtet, wie bei der Schrift. Von der Ebene einer allgemeinen Medienbetrachtung aus, gibt es hingegen kaum Erhellendes zur Sprache[32].

‚Aber Sprache ist doch ein Medium’, mag eingewendet werden. Natürlich! Doch eben der Schluß von der Feststellung: ‚dies oder jenes ist ein Medium’ oder ‚dies oder jenes ist medial verfaßt’, auf ‚dies oder jenes ist originärer Gegenstand einer Medienphilosophie’ ist falsch oder zumindest hoch problembehaftet. Man könnte sogar sagen, daß der Schluß von ‚X ist ein Medium’ auf ‚X ist (folglich) ein Gegenstand der Medienphilosophie’ und Medienphilosophie muß dazu etwas sagen können, das verkehrte Prinzip schlechthin ist. Jedem ist es natürlich freigestellt, Medienphilosophie definitorisch so festzulegen, daß sie über alle Medien, verstanden als Menge der Elemente auf die das Prädikat ‚Medium’ irgend zutrifft, als Gegenstandsbereich geht. Das nahezu Lächerliche an einer solchen Bestimmung ist aber, daß es für einen solchen Gegenstandsbereich keine gemeinsame Frage- und Problemstellung, keine gemeinsame Methode, keine Beschreibungskategorien und außerhalb des Namens Medium und der begriffsanalytisch damit verbundenen Mitten- und Vermittlungsfunktion gar keine interessante gemeinsame Perspektive gibt. Liebe und Tinte, Denken und Fernrohr, Erkenntnis und Schallplatte, neben Vernunft, Verdacht, Macht, Geld und weiß Gott was, nicht zuletzt der Letztgenannte selbst[33], der Mensch und die Welt können in ihrer Medialität konstruiert werden - und wurden so verstanden. Eine Philosophie der Medien darauf aufzubauen ist einfach unfruchtbar.

Folgen wir Margreiter weiter im Mediendreh hin zum symbolic turn, über den er dann im Medien-Zeitalter zum vollzogenen medial turn kommt, tritt das skizzierte Problem ebenfalls deutlich hervor. Medial turn heißt bei Margreiter ja nicht, daß wir uns etwas anderem zuwenden, sondern daß wir erkennen, inwiefern Kantische Transzendentalphilosophie, Sprachphilosophie und Symboltheorie unzulänglich reflektierte Versuche von Medienphilosophie sind. Cassirer, wegen der Bestimmung des Menschen als animal symbolicum, Margreiters Hauptgewährsmann, hat zwar völlig Recht mit der Rede von der Philosophie der symbolischen Formen, selbst noch darin, wenn er sie als Medien bezeichnet. Und Cassirer bietet dabei eine grandiose kulturphilosophische und anthropologische Analyse. Doch eine sinnvolle gemeinsame Frageperspektive auf diese sogenannten Medien, die Symbolsysteme: Mythos, Kunst, Technik, Erkenntnis und Sprache zu finden, ist bereits schwierig, eine gemeinsame systematische Fragestellung dafür und auf der anderen Seite für Buchdruck, Fernsehen, Film, und so weiter, zu etablieren, scheint fast unmöglich.

 

5) Einige lose Folgerungen
 

Dem Fehler, von der Entdeckung der medialen Natur eines Phänomens auf ein Medium als sinnvollen Betrachtungsgegenstand einer Philosophie der Medien zu schließen, entspricht der Fehler, die ganze Wirklichkeit als Medienwirklichkeit wahrzunehmen. Medienwirklichkeit! Statt Wirklichkeit und Wirksamkeit der Medien in der Gesellschaft zu reflektieren wird gleich zum zweiten, abgeleiteten Sinn übergegangen, der wegen der Wirksamkeit der technischen Medien diese Medien als umfassende Wirklichkeitsgeneratoren begreift. Die Querfeldeinsumme der für Medienphilosophie gewonnenen Medien rächt sich dann. Man gewinnt mit Kant, daß das Denken und die Wirklichkeitserfassung allein relativ zum Medium der Bewußtseinsformen zu bestimmen ist und schaut dann auf die neuen Medien: Photographie, Film und Fernsehen und - schwupp di wupp - hat man eine verkaufsträchtige, sehr bedenkenswerte und stirnrunzelnd bedachte, kulturpessimistisch gewürdigte und zu würdigende These: das Fernsehen ist die Wirklichkeit, bzw. macht diese. Ohnehin ist ja alle Wirklichkeit ein Medienerzeugnis. Ich erinnere an die fundamentalste Position, den mit Baudrillard gekennzeichneten 3. Weg zu den Medien als Fundament, der nur deshalb nicht zentral zu behandeln war, weil Theorie der Medien und die Philosophie als solche, samt der Medienphilosophie, vom Proponenten der Medienwirklichkeit in Frage gestellt wurde.

Dabei wird im Rekurs auf die Medienwirklichkeit, wie bereits angedeutet, ein nicht ganz unplausibles Bild gezeichnet. Wir sind gefangen in unseren, durch die Medien vor Augen gestellten Bildern und kein Mensch vermag mehr wirklich in jedem Einzelfall zu unterscheiden, was virtuell und was real ist. Doch, wird die Medienwirklichkeit von Fernsehen, Film und Massenpresse tatsächlich nur durch andere Medienwirklichkeiten derselben Kategorie kontrolliert und relativiert?

Jean Baudrillard wird nicht müde, aufzuweisen, daß praktisch jedes Geschehen, das als Wirklichkeit Bedeutung beansprucht, im Grunde ein Produkt der Massenmedien ist, die aber gerade deshalb selbst sich auflösen[34]. Praktisch wird dies durchaus durch verschiedenste Zeiterscheinungen gestützt. Denn tatsächlich scheint es bedeutsamer, wie - und wie gut - ein Politiker in den Medien präsent ist, denn, was er macht, und offensichtlich ging es bei Auseinandersetzungen wie Golfkrieg, Kosovo und vielen anderen politischen Aktionen, in erster Linie darum, die Deutungshoheit über ein Kriegsgeschehen zu erlangen und es der Weltöffentlichkeit medial in entsprechenden Kontexten geschickt zu präsentieren, mehr fast als um das Geschehen auf dem politischen Forum oder dem Schlachtfeld selbst. Die Frage danach, wie es wirklich ist oder war, interessiert so wie die Zeitung vom vergangenen Tag, - vorausgesetzt, man hält den Platz in den Medien besetzt. Doch eben die Baudrillardsche Verallgemeinerung macht überdeutlich, daß es neben der mediengenerierten, eine andere Wirklichkeit gibt, und trotz der Vermischung von Medien und Realität zu einer durch Simulation bestimmten Hyperrealität, eine Bezugsrealität, und zwar mehr als einen unverrechenbaren Rest. Doch wie dem auch sei. Die in Frage stehende Baudrillard-These, der Margreiter in ihrem Impetus gerecht werden will, setzt die Differenz zur natürlichen Gegebenheitsweise der Welt voraus.

Da bei Margreiter aber Bewußtsein ebenso ein Medium ist wie Sprache, aber auch Fernsehen und Film, kommt es zu einer seltsamen impliziten Folgerung. Die anfängliche Bestimmung der anthropologischen (Bewußtseins)Natur als Medium, dem definitionsgemäß nichts als außermedialer Rest korreliert, findet ihre Umkehrung und Bestätigung dann darin, daß man den ausdifferenzierten medialen Systemen der Nachrichtenübermittlung und Dokumentation eine analoge Konstitutionsrolle für Welt beimißt, in der wir plötzlich selbst als ein Medienerzeugnis vorkommen. Tod des Subjekts, bzw. das Medium wird als Subjekt gedacht. Doch dieses Konstrukt ist ein Irrtum. Selbst wenn es wahr sein sollte, daß „die Selbstreferenz-Figur ‚Mensch’ ausgedient hat“[35], bleibt die Folgerung, daß sich die Medien selbst emanzipiert haben und souverän geworden sind, absurd. Die Medien denken uns nicht. Wir wissen nicht einmal, was das heißen könnte.

Hier zeigt sich als ein (Fehler) Prinzip zunächst wie gehabt die Versuchung, Medialität als Basis für eine Bestimmung des Gegenstandsbereichs Medienphilosophie zu nehmen, als zweiter Fehler aber die Neigung, Medien nicht als von Menschen genutzte Kommunikations-Systeme zu verstehen, sondern die Medien als abstrakte Handlungssubjekte wahrzunehmen, analog zur konstruktiven Weltwahrnehmung des Menschen. Margreiter ist freilich zu knapp in seinen Ausführungen als daß man ihm dies direkt zuschreiben könnte.

Indizien für einen solchen Fehlschluß bei Medientheoretikern finden wir jedoch durchaus. Philosophie der Medien wird von einem Teil der Propagatoren so verstanden, daß der Genitiv als genitivus subjektivus zu lesen ist, so seltsam dies klingen mag. Doch gibt es dafür Beispiele. Thorsten Lorenz in seinem arg postmodern gestylten Buch Wissen ist Medium, das im Obertitel genau den weitreichenden Anspruch artikuliert, der viele neuere Ansätze zur Medienphilosophie prägt, wählt als Untertitel: ‚Eine Philosophie des Kinos’ und verkündet prompt, daß dies als genitivus subjektivus gelesen werden solle. Die Medien betreiben Philosophie, die wir dann als Medienphilosophie einzuholen versuchen[36].

Ist man auf dieser Ebene angelangt, gibt es meiner Auffassung nach keine sinnvollen Fragestellungen, die in irgendeiner Weise systematisch fruchtbar als Medienphilosophie entwickelt werden könnten. Die Zurückweisung von Pseudo-Medientheorien bei dem Medienwissenschaftler Faulstich in seinem Standardwerk Grundwissen Medien kann dann nicht verwundern. Es kommt einer Medienphilosophieschelte gleich, wenn Faulstich bei, seiner Meinung nach, völlig unverständlichen Ansätzen in einer Art positiver Würdigung feststellt, man könne denen vielleicht einen „utopistischen, ... sprachkünstlerischen oder bestenfalls philosophischen Charakter zusprechen“[37]. Freilich wird Faulstich den beispielhaft aufgelisteten Autoren als Theoretikern nicht gerecht, was einen Philosophen etwas beruhigen mag.

Das Problem allerdings besteht durchaus, daß man sich über den Begriff ‚Medium’ einen Gegenstandsbereich verschafft, über den als Gesamtbereich nicht vernünftig geredet werden kann, und man sich dann in immer wilderen Spekulationen, immer ausgreifenderen Konstrukten und immer marginaleren Anmerkungen verliert. Allerdings gehört die Reflexion auf Medialität und die Bestimmung der verschiedenen systematischen Ebenen von Medialität durchaus zum Themenbereich der Medienphilosophie, genauso wie die Betrachtung der Ausdifferenzierung der Medienlandschaft. Doch werden dadurch keine Gegenstandsbereiche einer Philosophie der Medien bestimmt und auch keine theoretische Basis für die Behandlung der Medien als solcher bereitgestellt.

Ich vermag nun nicht, in den Schlußausführungen so etwas wie den Übergang zum richtigen Verfahren in der Medienphilosophie zu skizzieren. Das Prinzip allerdings ist klar. Es gilt einen Begriff von Medium zu definieren, der herausarbeitet von welchen Medien in einer Philosophie der Medien als theoretisch relevanten gesprochen werden soll. Das bedeutet, daß ein Einschränkungsverfahren mit Blick auf systematisch fruchtbare Fragestellungen gesucht werden sollte. Ein solcher Einschränkungsansatz steht in direktem Gegensatz zu dem Verfahren, aus dem Aufweis medialer Strukturen den Gegenstandsbereich der Medienphilosophie in einem imperialen Triumphzug um immer neue Medien und Bereiche zu erweitern. Das eigentliche Problem ist also, einen Focus zu finden. Stellt man sich dieser Frage, dann zeigt es sich, daß es keine Philosophie der Medien als eine Fundamentaldisziplin geben kann, sondern daß verschiedene Ebenen etabliert werden müssen, auf denen dimensional unterschiedliche Fragen und Probleme zu behandeln sind.

Die angemessene methodische Herangehensweise scheint mir, Medienphilosophie aus einzelnen phänomenologischen Untersuchungen der medialen Grundweisen, die alternativ zur gesprochenen Sprache gesehen werden können, zu entwickeln: Bild; Körper; Schrift als Ausdrucks- und Kommunikationsmedien drängen sich auf, soweit eine gewisse Systematizität und gesellschaftliche Relevanz zu beobachten ist. Sprache sollte am ehesten als Referenz-Ebene angesehen werden, von der aus die Ausdifferenzierung sowohl als Kombination wie als Spezifikation in den Blick genommen werden kann. Nicht die Medialität an sich ist dann die Bestimmungsgröße. Die Veränderung von formalen Struktur-, materialen Träger- und technologischen Instrumenteigenschaften im Hinblick auf gesellschaftlich relevante Rückwirkungen des auf den Veränderungen basierenden systematischen Ausbau eines gegebenen Mediums bestimmt die Untersuchungsrichtung. An der Entwicklung der Buchkultur seit Erfindung des Buchdrucks wird uns dies am deutlichsten bewußt. Medienphilosophie hat eine Scharnierfunktion[38], weil sie grundlegende Veränderungen der Kultur, des gesellschaftlichen Bewußtseins und manchmal sogar des Menschenbildes, in Abhängigkeit von den Strukturen eines von ebendiesen Menschen zur Kommunikation genützten Mediums darstellen kann. Das betrifft dann auch die Wirkungsweisen von Erkenntnis, Kunst, Sprache, vielleicht sogar der Ratio überhaupt, doch bedeutet dies nicht, daß alles zum Gegenstandsbereich der Medienphilosophie wird, eben selbst dann nicht, wenn deren mediale Struktur zweifelsfrei erwiesen ist.

 

6) Schluß
 

Wenn ich im Vorausgegangenen die stürmischen Proponenten einer neuen, fundamentalen Disziplin Medienphilosophie, kritisiert habe, dann kommen natürlich die am schlechtesten weg, die programmatisch diesen Anspruch zu vertreten suchen, wie Margreiter, während bei anderen Vertretern, die einfach ‚Medienphilosophie’ betreiben, wie Hartmann[39], sie pragmatisch situieren wie Sandbothe, oder phänomenologische Studien offerieren, gepaart mit kühnsten Schlußfolgerungen, wie Groys mit seinem Supermedium des ‚Verdachts’, während bei diesen anderen also der Reichtum an Beobachtungen, die Feinheit der Analysen und nicht zuletzt der Witz - durchaus im alten Wortsinne von ‚Scharfsinn’ - stärker ins Gewicht fallen, auch wenn die Fragezeichen hinsichtlich der extensiven Ausweitung und emphatischen Aufwertung der Medienphilosophie in gleicher Weise bestehen bleiben.

Der Grundfehler ist, wie gesagt, von der Bestimmung ‚Medium’ und der Tatsache der ‚Medialität’ auszugehen und dann alle Medien und Phänomene der Medialität unter Medienphilosophie zu vereinnahmen und nominell zu fundieren.

Das führt zu Äquivokationen, die wir als Marginalien belächeln mögen, die aber im Grund den systematischen Aufbau und die Entwicklung einer fruchtbaren medienphilosophischen Fragestellung behindern. Es ist so als würde man über die medialen Träger der Universität in freier Spekulation sinnieren und dann zusammenfassen, daß hauptsächlich Beton und Stahl als Träger dienen neben den ‚Freunden der Universität e.V.’, dem Studium generale und den engagierten Studierenden und Dozenten, die nicht zuletzt eine Ringvorlesung als Medium der Reflexion der Medien tragen. Groys würde sagen: das behebt nicht den letzten submedialen Verdacht. Und dem könnte ich zustimmen, auch wenn ich nachdrücklich davor warne, den Verdacht oder selbst die Vernunft als Medium aller Medien neben und über Raum, Zeit, Stimme und Papier zu situieren.

Ich danke Ihnen, für ihre Aufmerksamkeit ganz real medial. Lesern, die bis hierher gelangt sind, wäre medienphilosophisch noch mehr zu danken als den Hörern, weil ich in der Performance des Vortrags natürlich die blinden Flecken und toten Stellen - Kennzeichnung der Schrift! - durch Weglassen mit Leben gefüllt habe. Daraus folgt, daß Platon mit seiner doppelten Medienkritik an Vorträgen und Schrift nicht ganz Unrecht hat. Er fordert stattdessen bekanntermaßen den argumentativen Dialog.

 

Literaturhinweise:

Baudrillard, Jean (72) „Requiem für die Medien In: ders. (dt.78) Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen. Berlin: Merve, S. 83-118.

Baudrillard, Jean (78 b) „Die Präzession der Simulakra“ In: ders. (dt.78 a) Agonie des Realen. Berlin: Merve, S. 7-69.

Baudrillard, J.. (76; dt. 91) Der symbolische Tausch und der Tod. München.

Danto, A.C. (81; dt.84) Die Verklärung des Gewöhnlichen. Ffm. (org. The Transfiguration of the Commonplace).

Faulstich, W. (Hg) (42000) Grundwissen Medien. München

Groys, Boris (2000) Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien. München/ Wien.

Hartmann, Frank (2000) Medienphilosophie. Wien.

Krämer, Sybille (98) (Hg) Medien - Computer - Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien. Ffm.

---. -- (98a) „Das Medium als Spur und als Apparat“ In: Krämer (98) (Hg): 73-94.

Lorenz, Thorsten (88) Wissen ist Medium. Die Philosophie des Kinos. München.

Margreiter, Reinhard (99) „Realität und Medialität - zur Philosophie des ‚Medial Turn’“ In: Medien Journal 1/ 1999:9-18;

---.-- (99a) „Medienphilosophie als Reformulierung einer philosophy of mind“ In: Löffler, W./ Runggaldier, E. (Hg) Vielfalt und Konvergenz der Philosophie, Wien, S. 520-524;

---.-- (2002) „Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir Medienphilosophie“ In: Albertz, J. (Hg) Anthropologie der Medien - Mensch und Kommunikationstechnologien. Berlin.

Sandbothe, Mike (2001) Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet. Weilerswist.

S.J. Schmidt (2000) Kalte Faszination. Medien - Kultur - Wissenschaft in der Mediengesellschaft. Weilerswist

Seel, Martin (98) „Medien der Realität und Realität der Medien“ In: Krämer (98) (Hg): 244-268.

Vogel, Matthias (2001) Medien der Vernunft. Ffm.

Wittgenstein, Ludwig (53; 77) Philosophische Untersuchungen. Ffm.



* Der folgende Text bietet meinen im Rahmen der Ringvorlesung „Aktuelle Perspektiven im Rahmen der Medien- und Kulturwissenschaft“ im WS 2002/03 Universität Mainz am 30.10.2002 gehaltenen Vortrag.

 

[1] Wittgenstein, Ludwig Philosophische Untersuchungen § 217.

[2] Sandbothe, Mike (2001) Pragmatische Medienphilosophie: 24.

[3] Ebd.

[4] In dem Zitat jedenfalls mit dem Sandbothe (a.a.O., S. 25, Fn. 48) seine These belegt, spricht Sibylle Krämer von thematischem Wechsel und Präferenzen der Betrachtung. Die einleitende Bemerkung, daß es so „scheint“ als erfahre nun „das Thema der Sprache selbst eine mediale Umakzentuierung“ deutet bestenfalls schwach den von Sandbothe behaupteten Fundierungsanspruch an, zumal die Folgeausführungen in raffinierter Form anhand der Schlüsselbegriffe Spur und Apparat phänomenologische Differenzierungen aufweisen, die den Begriff des Mediums vor dem Hintergrund problematischer medientheoretischer Annäherungen korrigierend bestimmen (Cf. Krämer, S. (98a) „Das Medium als Spur und als Apparat“ In: dies. (98) (Hg): 73-94. Hier S. 73) 

[5] Seel, Martin (98) „Medien der Realität und Realität der Medien“ In: Krämer (98) (Hg): 244-268. Hier S. 245. Freilich muß ich zugeben, daß Seel recht unbekümmert Medien aneinanderreiht: Licht, Geräusch, Sprache, Geld, Begriff, und er macht gar in den apriorischen Formen des Verstandes bei Kant „unveräußerliche Medien des Erkennens“ aus (S. 244). Das ist nicht unproblematisch. Solange er aber diese „wahllos“ aufgelisteten, unterschiedlichen Medien lediglich als Exempel für den Begriff „Medium“ benennt (so seine Kennzeichnung S. 256) und nicht eine Medienphilosophie als Theorie dieser ‚Medien’ ansinnt, bleibt das Ganze - zumindest theoretisch - unproblematisch.

[6] Cf. Sandbothe (2001), a.a.O., S.26, Fn. 53, wo Vogel mit guter Intuition der theoretizistischen Richtung zugeschlagen wird.

[7] Vogel, Matthias (2001) Medien der Vernunft. Ffm., S. 159. Zu loben ist an Vogel die dezidiert systematische Ausrichtung. Sein Versuch einer Begriffsbestimmung ist gerade motiviert von der begrifflichen Unklarheit, die aus einem Medienbegriff erwächst, der alles Mögliche zwischen McLuhan und Luhmann umfaßt. Im Gegensatz zu zahlreichen expansiven Theoretikern, die sich auf, zumeist auch noch inkompatible, Beispiele stützen, sucht er einen selektiven Begriff ‚Medium’ zu etablieren.

[8] Cf. Vogel a.a.O.: 344f. Ich kann hier keine Auseinandersetzung mit seinem anspruchsvollen Versuch einer exakten Bestimmung der Grundbegriffe leisten. Ich glaube, daß seine Auszeichnung der Medien letztlich eher sprachphilosophische Überlegungen der ordinary language philosophy in spezifischer Form nutzt, denn daß seine Bestimmung des Mediums als eines ‚irreduziblen Mittels der Individuierung von Gedanken’ eine Perspektive auf Sprache hin im Rahmen einer generalisierten Medientheorie liefert. Der Aufweis medialer Strukturen allein genügt meines Erachtens nicht, um zu einem Gegenstandsbereich ‚Medien’ als Feld einer Theorie überzugehen. Die charakteristische Anwendung auf Kunst bleibt jedoch in jedem Fall beachtenswert. Ich hoffe noch 2003 in einer Übersichtsdarstellung und Aufgabenbestimmung der Medienphilosophie, bei der ich von der Sprache als paradigmatischem ‚Nullmedium’ ausgehe, die hier unterlassene Detailauseinandersetzung mit dem Vogelschen Konzept leisten zu können.

[9] Die Nennung einiger der in jüngster Zeit, neben Computer, Internet, Photographie, Film und Fernsehen, mit Eifer aufgegriffenen Medien läßt erahnen, wie problematisch es sein mag, auf dieser Basis einen eigenständigen, halbwegs kohärenten Gegenstandsbereich zu bestimmen, der einen autonomen Disziplinbereich fordert, um systematisch fruchtbare Fragestellungen zu entwickeln und Problemlösungen zu finden.

[10] Sandbothe (2001), a.a.O.: 104. Folgt man Vogel, müßte man dies in jedem Fall um <4> ‚gesellschaftliche Interaktionsformen und Handlungsmuster’ erweitern. Natürlich kann man mit unterschiedlichen Gründen (1) - (4) als ‚Medium’ auszeichnen; der entscheidende Punkt ist jedoch: das ist nie und nimmer ein kohärenter Bereich, geschweige denn ein „System“! Differenter und divergenter könnten die einzelnen Bereiche kaum sein.

[11] Sandbothe (2001), a.a.O.: 221

[12] A.a.O.: 112.

[13] Stattdessen sieht Sandbothe das Internet als praktisches Kommunikationsmittel, Speichermedium und Wahrnehmungsangebot.

[14] Cf. die Abschnitte V.2 bzw. V.3: Pragmatisierung der semiotischen (bzw. sinnlichen Wahrnehmungsmedien) im Internet (S. 187, bzw. 197 ff). Amüsanter Weise fände sich für den bei Sandbothe gar nicht aufgeführten Bereich (4), den ich auf Grund von Vogels Studie hinzugefügt habe, ein entsprechendes Korrelat: Kap. VI „Die Pragmatisierung des common sense im Internet“ (206 ff).

[15] Baudrillard, Jean „Requiem für die Medien (1972) In: ders. (dt.78) Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen. Berlin: Merve, S. 83-118.

[16] Baudrillard, Jean „Die Präzession der Simulakra“ <78> In: ders. (dt.78 a) Agonie des Realen. Berlin, S. 7-69. Hier: S. 10.

[17] Baudrillard Agonie, a.a.O.: 30.

[18] Dies ist gar nicht weit vom Sophisten Gorgias entfernt.

[19] Baudrillard, Agonie, a.a.O.: 9.

[20] Ich kann die Genese des Medialen, die Baudrillard in diesem Zusammenhang für das Bild in 4 Schritten skizziert: 1) Reflex einer tieferliegenden Realität; 2) Maskierung und Denaturierung einer tieferliegenden Realität; 3) Maske der Abwesenheit einer tieferliegenden Realität und 4) Verzicht auf Realitätsverweis als sein eigenes Simulakrum, nicht im Detail nachzeichnen (cf. Baudrillard (dt. 78 a) Agonie: 15). Zur Ordnung der Simulakra: Cf. Baudrillard, J.. (76; dt. 91) Der symbolische Tausch und der Tod. München; S. 79: I Imitation und Naturgesetz; II Produktion und Marktgesetz; III Simulation und Strukturgesetz.

[21]Groys, Boris (2000) Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien. München/ Wien, S.9.

[22] In dieser raffinierten Ästhetik: Danto, A.C. (81; dt.84) Die Verklärung des Gewöhnlichen. Ffm. (org. The Transfiguration of the Commonplace), beschäftigt sich Danto (u.a.) mit der Frage wie reine Objekte bei material identischer Gegebenheit zu Kunst werden und damit eine mediale Struktur annehmen können.

[23] Groys (2000), a.a.O.: 25.

[24] Cf. Aristoteles Metaphysik Buch IV 1003 a, 21f zur Wissenschaft welche das Sein als Sein betrachtet.

[25] Cf. Margreiter, Reinhard (99) „Realität und Medialität - zur Philosophie des ‚Medial Turn’“ In: Medien Journal 1/ 1999:9-18; ders. (99a) „Medienphilosophie als Reformulierung einer philosophy of mind“ In: Löffler, W./ Runggaldier, E. (Hg) Vielfalt und Konvergenz der Philosophie, Wien, S. 520-524; ders. (2002) „Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir Medienphilosophie“ In: Albertz, J. (Hg) Anthropologie der Medien - Mensch und Kommunikationstechnologien. Berlin.

[26] Seltsamerweise läßt Margreiter Herder, der im Gefolge Hamanns in seiner Metakritik Kants die Berücksichtigung der Sprache direkt einforderte, aus, obwohl er sich ansonsten in der Auflistung relevanter Namen gefällt.

[27] Cf. beispielsweise Sandbothe (2001) Pragmatische Medienphilosophie, Kap. 1 und Frank Hartmann (2000) Medienphilosophie, vor allem Kap. 2-5. In den späteren Kapiteln treten stärker die an den einzelnen Personen als Kristallisationspunkten festgemachten, systematischen Fragen in den Vordergrund.

[28] Margreiter (99): 13.

[29] Krämer Sibylle (98) „Das Medium als Spur und Apparat“ In: dies. (Hg) (98) a.a.O.: 73-94. Hier: 79.

[30] Dabei gerät Margreiter selbst in eine Universalisierung, die der von ihm kritisierten Parmenideischen Position nicht unähnlich ist. Von Parmenides: Das Sein ist Ein und Alles und Alles ist Eins, greift er aus zu ‚Alles ist Medium und entsprechend der Vermitteltheit relativ’.

[31] Margreiter (99): 10.

[32] Meines Erachtens bietet es sich daher an, mit der gesprochenen Sprache als paradigmatischem Nullmedium eine Referenzebene auszuzeichnen, und als Aufgabenstellung einer systematisch kohärenten Medienphilosophie die Differenzen anderer Grundformen der medialen Welt- und Selbstvergewisserung etwa in Bild, Technobild oder Körperzeichen zu bestimmen, und die Auswirkungen, die sich aus der Veränderung von Parametern wie Multiplikation, Zeit etc. gemäß (kultur-)technischen Errungenschaften wie Schrift, Buchdruck, technischer Bildherstellung und - Verarbeitung ergeben zu betrachten. Dies auszuführen ist hier freilich nicht der Ort. 

[33] ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben’ - eine medienphilosophisch relevante Aussage?.

[34] Baudrillard (78 b):48f „Sogar das Medium ist als solches nicht mehr greifbar“ und er spricht dann von der „Auflösung des Fernsehens im Leben“ und „Auflösung des Lebens im Fernsehen“.

[35] Maresch/ Werber (1996) zitiert nach S.J. Schmidt (2000) Kalte Faszination. Medien - Kultur - Wissenschaft in der Mediengesellschaft. Weilerswist. S 88),

[36] Cf. Lorenz, Thorsten (88) Wissen ist Medium. Die Philosophie des Kinos. München, S. 19. Das Buch bietet im Übrigen eine ganze Reihe von anregenden Fakten und pointierten Einsichten. Als Philosophie ist mir die Annäherung aber zu kaleidoskopisch.

[37] Faulstich, W. (Hg) (42000) Grundwissen Medien. München, S.23 (meine Hervorhebg.).

[38] Insofern scheint mir Sandbothe im Grundansatz besser zu liegen als Margreiter, auch wenn ich hinsichtlich seiner Bestimmung der Disziplin ‚Medienphilosophie’ ebenfalls große Bedenken hege.

[39] Hartmann, Frank (2000) Medienphilosophie. Wien. Der Autor mutmaßt interessanter Weise in seiner Vorbemerkung selbst, daß „Medienphilosophie zwei Sphären verbindet, die vielleicht gar nicht zu verbinden sind“ und fährt fort, „allein die Phase des Übergangs rechtfertigt den Titel“ (S.13). Als ein Versuch ist seine Verbindung von technikorientierter Medientheorie und kulturanthropologischer Kommunikationstheorie recht interessant. Über die Möglichkeit und Struktur der Disziplin wäre noch nachzudenken.

 

"Medienphilosophie - eine neue Grundlagenwissenschaft?" als pdF-Datei

HOME