Refiguration der Republik im Bild
– Abschied von 68
Im Rahmen der Tagung fand auch eine Aufführung des Films ‚Deutschland
im Herbst’ (im Mainzer Programmkino Cinemayence) statt. Als Anhang gebe
ich Notizen zu diesem Film, die ästhetische und ideologisch-konstruktive Aspekte
der Bildpräsentation und der Narration betreffen.
Vorbemerkung:
Die folgenden, im Netz bereitgestellten Notizen enthalten Teile meines
entsprechenden Vortrags im Rahmen der Tagung „Deutschland im Herbst – Abschied
von 68?“.
Die Tagung wurde vom
Studium generale der Universität Mainz
(Organisation, Programm und Moderation:
Oliver Diehl) am 18.-19.6.1999 in Mainz als interdisziplinärer Workshop
(Historisches Seminar, Philosophisches Seminar, Filmwissenschaft, Bildende Kunst
– Abt. Film) veranstaltet.
Der Zeitraum von 1965 – 1978 sollte dabei die inhaltlichen Orientierungsdaten
für die Beiträge und Diskussionen vorgeben.
Da der
Vortrag auf der Basis des nachstehenden Konzepts frei gehalten wurde, ist das
Folgende eine Mischung aus konzeptuellen Teilen, ausformulierten Partien und
Einschüben, die dem Workshopcharakter entsprechend, die unmittelbare
Adressatenorientierung beibehalten.
Der
Hinweis auf die Mittelstellung zwischen Werkstatt und Veröffentlichung soll
dabei nicht dazu dienen, die Thesen mit einer Kautele zu versehen, sondern
lediglich dazu, die geplante Veröffentlichung als den letztlich autoritativen
Text im Bewusstsein zu halten.
Entsprechend dem Charakter eines Workshops wurden verschiedene Aspekte mit den
Teilnehmern an bereitgestellten Materialien diskutiert. Diese
Beispiel-Materialien, ohne die der Vortrag nur schwer verständlich wäre, werden
im Anschluß an den Vortrag gegeben.
Die Refiguration der Republik im Bild - Abschied von
gestern
Justierung
des Anliegens, das mit dem Titel: ‚Refiguration der Republik im Bild’ verknüpft
ist
Der im
Titel anklingende allgemeine Anspruch könnte falsche Assoziationen wecken.
Sprechen werde ich eher über einige
Aspekte der Refiguration der Republik im Bild – und über den
Ideologieverdacht gegen unseren ‚Abschied von Gestern‘ - (bezogen auf den Abschied von 68 und die
Verabschiedung der 68er). Die Reminiszenz an Alexander
Kluges Film: ‚Abschied von Gestern’ von 1966 ist dabei rhetorisch und dennoch
nicht ganz zufällig. In diesem Film treten jene Probleme des Bildkonstrukts als
Wirklichkeitskonstrukt deutlich zutage,
die ich unter der Überschrift: ‚Refiguration der Republik im Bild‘ exemplarisch anreiße, und
werden indirekt sogar thematisch.
Wenn
ich meinen Vortrag mit ‚Refiguration der Republik im Bild` betitele, dann klingt
das nach empirischer Studie und umfassender Untersuchung oder wenigstens nach
Folgerungen, die entsprechend gewichtig über das Bild der Republik in der
Medienwelt räsonieren, auch wenn die Untersuchungen sich auf einige Ausschnitte
aus der Zeit und andere vage
Erinnerungen an Stern,
Spiegel, Süddeutsche Zeitung
oder auch Konkret beschränken mögen.
Eine
solche Beschränkung wäre möglicherweise nicht ganz seriös, gleichwohl von
spekulativem Interesse, doch müßte auch in diesem Fall eine exemplarische
Signifikanz empirisch untermauert werden. Doch ich will ohnehin nichts
dergleichen leisten. Ich will gar kein Bild der Republik vor ihren Augen
entstehen lassen, das erstaunliche, unerwartete Facetten enthüllte oder
das als das treffende mit paradigmatischem Anspruch zur Debatte gestellt werden
sollte - als mediale Präsentation kollektiven Bewußtseins oder Ähnliches.
Sehr
wohl werde ich Ihnen einige charakteristische Bilder offerieren
und ich werde daneben beiläufig auf einige Bilder des Films ‚Deutschland im
Herbst‘ zu sprechen kommen. Von den exemplarischen Bildern lasse ich mich zu
einigen theoretisch einsichtigen Folgerungen hinsichtlich fotografischer Bilder
und deren Bedeutungspotential tragen. Schlussendlich will ich in einer etwas
kühnen Folgerung dem semiotischen Doppelstatus der Fotografie als Dokument und
Bedeutungsbild eine wichtige Rolle in jener speziellen Refiguration der Republik
im Bild zumessen, die nach dem in der Tagungsperspektive beschworenen deutschen
Herbst von 1977 in einem seltsamen, widerspruchsreichen Frühling der Alt 68er
uns allen vor Augen liegt.
Mein
Anliegen ist es, darauf aufmerksam zu machen, wie die Figuration im Bild und die
Refiguration der Bilder überhaupt operieren, wenn so etwas wie ein
Bedeutungsbild vor dem geistigen Auge entsteht. Ich untersuche nicht
repräsentativ in einer empirischen Studie
die Bilderwelten der 70er, sondern ich nehme ein paar Bilder aus dieser
Zeit, die ich als charakteristisch bezeichne, in Anspruch und befrage sie auf
formale Prinzipien, affektive Wirkungen damals und heute und auf symbolische
(Konnotations-) Werte. Damit verknüpfe ich in theoretischer Sicht einige
Gedanken, wie die Bilder im Geist arbeiten - oder der Geist mit ihnen, den
Bildern - und welche Volten er und sie (die Bilder) schlagen, welche Tricks wir
durchschauen und worauf wir dennoch,
fast wie auf bewegte Bilder als Bewegung der Gegenstände, hereinfallen.
Die Bilder sind tatsächlich verräterisch manipulatorisch und enthüllend
zugleich, und unbeschadet von rechts und links wirken die Seiten und Parteien in
struktureller Sicht wie seitenverkehrte Abzüge. Das bedeutet, dass wir uns der
Aufgabe, stellen müssen, diese Bilder, weil sie so sind, wie sie sind, zu
entmythologisieren. Die Bilder verlangen danach, oder sie werden zu
Vexierbildern, die uns verwirren, statt uns Durchblick auf die Welt zu
verschaffen. Ich will nun aber nicht einzelne Bilder in ihrer Wirkung und ihrem
Status, in ihrer dokumentarischen Kraft (Gegenstandsbezug) und ihrem
manipulativen Gehalt (Bildbedeutung) analysieren. Auf eine Verführung möchte ich
aufmerksam machen, die in der Fotografie der Möglichkeit nach liegt, die
Verführung, die Aspekte von Gegenstandsbezug und Bildbedeutung so auszunützen,
daß letztlich beide ihre Erschließungskraft verlieren und die beliebig
gewordenen Bilder nur rhetorisch affirmiert werden.
Fotografien –
Bildbedeutung und geistiges Bild
Beiläufig präsentiere ich jetzt einige
Bilder in ihrer wechselseitigen Affirmation und Negation, die zur Zeit ihres
Entstehens und in unmittelbarem Zusammenhang mit der damaligen Situation als
Kennzeichnungsbilder der allgemeinen Lage wirkten. Sie können sowohl als Selbstinterpretation
der 68-er Bewegung gesehen werden, als Bilder also, die es im Prinzip
ermöglichen, das jeweilige Bild mit entsprechenden ideologischen Signifikaten
wie ‚Polizeistaat’, ‚staatliche Strukturgewalt’ oder auch ‚emanzipatives
Aufbrechen von Ordnungsschemata’ zu belegen. Die Bilder können daneben aber auch allgemein als typisch, als eine Bannung
der Geschichte in die Photographie verstanden
werden. In diesem Sinn figurieren die Photographien anhand des Materials
Wirklichkeit ein dem Anspruch nach charakteristisches Bild. Wann immer wir
solche Einzelbilder als paradigmatisch für einen Gesamtzustand ansehen oder
eine Zusammenstellung von Bildern als thematischen Komplex präsentieren,
refigurieren wir den Betrachtungsgegenstand. Beispielsweise ‚Deutschland im
Herbst 1977’. Dabei greifen unmittelbar ästhetische Prinzipien, konstruktive
Regeln, kulturelle Metaphorik und
ideologische Rahmenbedingungen ineinander, wie an dem Film ‚Deutschland im
Herbst’ (1978) gesehen werden kann.
Natürlich steckt darin auch eine Menge an Manipulationspotential. Und die
Signifikate, die konkret zugeschriebenen Bildbedeutungen, sind selbst durchaus
kontextabhängig. An inhaltlichen Momenten, aber auch an ästhetischen
Gestaltungsprinzipien des Gesamtbilds - elementaren wie Format, Einfärbung, Ordnungsgefüge (s. den Film)
und bildinternen inhaltlichen: starre Ordnungslinien versus chaotisches Gemenge etc. (cf. einige der Photos) - kann man sich verdeutlichen,
dass und wie ein vom dokumentarischen unabhängiger Bedeutungswert gegeben ist.
Man kann diese Bedeutungskomponenten wie beim fiktionalen Filmgeschehen im
normalen Hollywood Featurefilm völlig trennen vom realen Geschehen. Aber auch,
wenn wir im dokumentarischen Gestus die Signifikate in enger Anlehnung an den
Bezug verstehen, besteht systematisch die Differenz gemäß Kontext beim
photographischen Bild immer. Dies generiert eine Vielzahl von Problemen. Machen
wir uns dies an einem kleinen Gedankenexperiment klar. Wir wollen in Bildern
die Behauptung vertreten, dass in einem bestimmten Land A Kindersoldaten
rekrutiert werden und Landminen zur Anwendung gelangen. Wir wollen dies zugleich
kritisieren und wir verfügen über entsprechende Bilder von Grausamkeiten, die
zeigen, welche Folgen die inkriminierten Verhaltensweisen haben. Es kann nun
legitim sein, etwa die hinsichtlich Faktizität auf anderer Basis gesicherte
Grausamkeit des Regimes, das Landminen legt und Kindersoldaten einsetzt, durch
Bilder zu belegen, die im Nachbarland B entstanden sind. Solange die Bilder
nicht dokumentieren sollen, dass das
Bildgeschehen im Land A stattfand, sondern das Bewusstsein für die Problematik
schärfen, scheint dies legitim, wenn auch nicht unproblematisch. Die Differenz
von konkretem Bezug und allgemeinem systematischem Bedeutungswert wird dann
ausgenutzt. Allerdings muß man,
wegen der ontologischen Implikationen klassischer Photographie, wenn faktisch
andere Opfer dokumentiert als ‚bedeutet’ werden, dies unbedingt gesondert
vermerken. Sonst wird die Kontextsensitivität der Bilder zur Bedeutungs- und
Manipulationsfalle. Diese an jedem Bild erhebbare Differenz von allgemeiner,
kulturell gestützter oder etablierter Bedeutung und dokumentierter Referenz wird an der
auseinanderfallenden Bedeutungskonstruktion von geschichtlich hinreichend
unterschiedlichen Rezeptionsbedingungen besonders deutlich. Wir sehen heute die
Bilder von 1977 zwangsläufig anders als vor zwanzig Jahren. Eine Trivialität,
die nicht unbedeutsam ist.
Konkret für die hier offerierten Bilder sollte gelten – meine Vermutung! – dass
für die Bildrezeption ein annähernd gleicher Rezeptionshintergrund hinsichtlich
der Fakten, aber auch der ästhetischen Prinzipien – diese hängen ihrerseits
wieder von Weltwissen und Kunstkenntnis ab - vorliegt. Das bedeutet jedoch
nicht, dass die Fakten, etwa bezüglich Aufstand und Ordnung nicht völlig
konträr bewertet werden könnten oder die ästhetisch vermittelten Stimmungswerte
etwa von elegischer Trauer oder Wut nicht hinsichtlich ihrer Angemessenheit
völlig unterschiedlich eingeschätzt werden. Doch selbst dort, wo heutige
Betrachter mangels Kenntnis der das Jahrzehnt von 68 bis 78 prägenden
Geistesgeschichte nicht die Bild-Werte (als Signifikate) der 68er Generation zu
konstruieren vermögen, nehme ich an, daß die Bilder für einen Großteil der
Bevölkerung nicht nur jene Konnotationskristallisationen, von denen im Folgenden
die Rede ist, hatten, sondern auch heute noch haben.
Einschub
zum Begriff "Figuration"
Was
heißt Figuration?
– Figuration bedeutet zunächst lediglich ein Ordnen von Gegebenheiten zu einer
Figur. Auf einer allerersten Ebene
geschieht dies bereits in unserer Weltwahrnehmung und ist bedingt durch zwei
Faktoren:
a)
wir verfügen nur über Teile, die wir zu einem Bild fügen und ergänzen
müssen (Kreative Komponente der Figuration) --> dies wird besonders deutlich an
dem metaphorischen Begriff ‚Weltbild’
b)
selbst wo wir in Teilbereichen über alle Informationen oder Materialien
verfügen, müssen wir eine Ordnung herstellen (Deutungskomponente der Figuration)
Selbstverständlich sind a) und b) nicht unabhängig voneinander und die
Teilbereiche in denen wir über Vollständigkeit verfügen, hängen selbst von
größeren Einordnungszusammenhängen ab.
Nun
gibt es auf der elementarsten Ebene natürlich einige Figurationsstrukturen, die
für unsere Wahrnehmung, aber auch unsere begrifflichen Konstruktionen vorgegeben
sind: ‚vorher – nachher’ z.B., um etwas zu nennen, was bei interessanten Fällen im Film frei genutzt werden kann,
vielleicht auch ‚Ursache und Wirkung’ und ‚gleich und verschieden’.
Interessanter und problematischer sind jedoch Figurationen im Rahmen kultureller
Strukturierungs- und Ordnungsrahmen wie etwa Fahndungsplakaten. Natürlich stellt
eine solche funktional und ästhetisch restringierte Bilddarbietung eine sehr
spezielle Struktur mit vielen Implikationen dar.
Doch
das Figurations- und Refigurationsproblem besteht ganz generell und die
empirisch wirklich interessanten Fälle ereignen sich alle auf kompliziert
geschachtelten und verschachtelten Ebenen von Bildkonstitutions- und
dazugehörigen Korrekturinstanzen. Im psychischen wie im sozialen Raum. In
unserem Zusammenhang interessieren zwei Folgerungen besonders: a) Ideologie –
das Bild im Kopf und b) Film bzw. Fotografie, das Bild auf Zelluloid. Die
prinzipiellen Probleme, die sich daraus ergeben, daß das analoge fotografische
Bild zunehmend durch das digitale ersetzt wird – das sind Probleme! denen
freilich Chancen innewohnen – können wir an dieser Stelle nicht behandeln.
Es
bedarf im Grunde nicht der Erwähnung. Dennoch sei darauf verwiesen. Für die
Konstitution eines ideologisch fingierten Gesamtbildes spielt die Wahrnehmung
und Verarbeitung von fotografischen Bildern nur eine minimale, allerdings
zunehmend wichtigere Rolle. Von den Zusammenhängen wiederum, die dabei bedeutsam
sind, können nur einige Aspekte, die unmittelbar mit speziellen Bedingungen des
Mediums zusammenhängen, betrachtet werden.
Die
zwei Aspekte, die uns interessieren, Ideologie und Zelluloid, führen bereits weg
von den ganz grundsätzlichen Aspekten der Figuration, geben uns allerdings
Gelegenheit, ein Phänomen der Wahrnehmung besonders hervorzuheben, zu
unterstreichen und ins Bewußtsein zu heben, das die Verbindung zwischen
‚Wahrnehmen‘ und ‚Denken‘ betrifft. Ich spreche von der
Interpretationsgeladenheit der Wahrnehmung, ein Phänomen, das für nahezu
elementare Wahrnehmungen ebenso gilt, wie für tief eingebettete und hoch
ideologisierte Strukturphänomene.
Böse Identitätsordnung
versus gute Intensitätsmomente?
Werfen
wir nun einen Blick auf das erste Bild (Fahndungsplakat).
Ich weiß nun freilich nicht genau, ob dieses Bild die Seite jenes Bewußtsein
eines deutschen Herbstes evozieren kann, die bei vielen, nicht nur
Intellektuellen, mit dem Gefühl verknüpft war, daß nicht nur eine kriminelle
Bande von Terroristen –steckbrieflich gesucht werden,
sondern daß jeder Ansatz von Revolte, jeder Aufbruch, jede potentielle
Abweichung mittels allgegenwärtiger Fahndungsplakate zwecks
Sicherheits-Verwahrung gesucht sei. Von der faktischen Verbreitung, ein Aspekt
des fotografischen Mediums, den ich nicht behandle, wie der bewußtseinsbildenden
Topikalisierung waren die Fahndungsplakate nach
den Terroristen jedenfalls zum Signet
der Zeit und der Gesellschaft geworden. Da ein seit den frühen 70ern immer
erweiterter Sympathisantenbegriff die Gesuchten zum
Symbol für den inneren Feind machte, vermittelte das Fahndungsphoto
den Eindruck, daß so buchstäblich die Freiheit des Landes zur Fahndung
ausgeschrieben ist, um ruhiggestellt zu werden. Unter dem Vorwand der
Terroristenfahndung schien der Staatsapparat sein Volk als den potentiellen
inneren Feind aufzuspüren. Dafür trat symbolhaft das Fahndungsplakat ein, das
gesättigt mit dem Umgebungswissen hinsichtlich polizeilicher
Kurzschlußreaktionen mit tödlichem Ausgang für Unbeteiligte, gestützt durch
Erfahrungen mit dem Raster eines Verdachtsfocus auf der Basis neutraler
Kennzeichen, und bestätigt durch eine unbegrenzte Schnüffelpraxis in
ideologischen Bereichen und vielem mehr, diesen Symbolwert bekam.
Letztlich führte das dazu, daß ein nicht nur westerndramaturgisch gespeistes
Mitgefühl mit den Steckbriefsubjekten entstand, die dem Raster der alles
erfassenden Fahndungsmaschinerie entgingen. Sie schienen symbolhaft ein
individuelles Freiheitsmoment gegen die Maschinerie zu realisieren. Partikulare
Intensität stand so gegen strukturbestimmende Identifikation. Natürlich stand
das konkrete Handeln der RAF-Anhänger der symbolisch nahegelegten emotionalen
Identifikation des Einzelnen mit der Revolte gegen staatlich vorgeschriebene
Identitätsordnung entgegen. Doch dieser gesellschaftspolitische Aspekt ist für
mich hier zweitrangig. Mir geht es um die Bildwirkung im Rahmen Fahndungsplakat,
den Gruppenaspekt und den Aspekt der ubiquitären Verbreitung.
Auf
der Basis eines im Prinzip gleichen kulturellen Wahrnehmungsdispositivs spaltete
sich die Bevölkerung in abstrakte Fahnder (mit vielleicht manchmal grotesken
Konkretisierungen) und abstrakte Gesuchte (mit vielleicht gelegentlich
übersteigertem Verfolgungswahn). Es erübrigt sich auf die
Interpretationsgeladenheit dieser Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung besonders
aufmerksam zu machen. Für die 68er Generation signalisierten die Fahndungsfotos
zweifellos bedenkliche Zugriffsmechanismen der Staatsmacht auf den individuellen
Einzelnen. Selbst wenn sie sich in keiner Weise mit den Terroristen
identifizierten, sahen sie sich in der Position des Verfolgten.
Die
Wirklichkeit wie sie sich im gesellschaftlichen Bewusstsein, dem Bild im
metaphorischen Sinn, später darstellte, entsprach dann eher dem Bewusstsein
derjenigen, die sich in der Fahndung und in der Bild-Erfassung mitverfolgt
sahen, denn dem Bewusstsein derjenigen, die danach trachteten, die Fahndung zu
perfektionieren und ein detailreicheres (Daten-) Bild zu gewinnen. Die
Bilder der Ordnung und der Durchsetzung der Ordnung,
evozierten eher Bedenklichkeit und Kritik, denn die potentiell denkbaren
Konnotationen: ‚Sicherheit’ und ‚Schutz’. Und insgesamt wurden die
ordnungsstörenden Aktivitäten (cf.
Bild 1 und
Bild 2) eher als befreiende und kreative Unordnung
positiv konnotiert. In der direkten (Bild-) Konfrontation beider Aspekte (Bild 3,
Bild 4,
Bild 5) scheinen mir sowohl damals wie heute die
Ordnungsfiguren gegen die Protest- und Chaosfiguren in der oppositionellen
Figuration der Kontraste eher negativ konnotiert zu sein. Obwohl in der
konkreten Politik sich die Gruppe der Fahndungsspezialisten eher durchsetzte.
Ich möchte das im Moment zurückstellen, obwohl diese relativ ungesicherte
Beobachtung – der ‚große Lauschangriff’ wäre freilich ein Indiz – meine
Fragerichtung hinsichtlich des Mediums Fotografie letztlich bestimmt. Gleichwohl
stelle ich die Frage hier bereits in den Raum. Wird unter Berufung auf die
Bedeutungsbilder der 68er Generation von der gesellschaftlich etablierten 68er
Generation nicht praktisch eine konträre Politik gemacht? Und hat dies am Ende
gar etwas mit den speziellen Bedingungen des Mediums Fotografie zu tun?
Doch
bevor ich zu dieser Schlussfrage in der medienspezifischen Facette gelange,
möchte ich stattdessen die Valenz des dem Fahndungsphoto der Terroristen
gegenübergestellten Bildes des Gefangenen der RAF,
Martin
Schleyer, ein wenig untersuchen.
Das
Fahndungsphoto der Terroristen (Gen. Obj.!), in dem sich ein Großteil der
intellektuellen Gruppe der Bevölkerung mitverfolgt sah, ist nur die eine Seite.
Das gegenübergestellte Bild Hans Martin Schleyers meldet einen Erfolg der
individualanarchischen Komponente, zumindest scheint es einen Sieg in der
Auseinandersetzung mit der Ordnungsmacht zu demonstrieren. Nicht erst nach der
Ermordung Martin Schleyers, des Präsidenten des Arbeitgeberverbandes, erwies sich diese anarchische Triebkomponente des
revolutionären 68er Engagements als dämonisch pathologische Variante, und als
eine praktisch gar nicht kontrollierte Form des Ordnungswahns. Die
unterschwellige Affinität zu den bekämpften Traditionen und Strukturen hat eine
psychologische, mit Sicherheit jedoch auch eine speziell deutsche geschichtliche
Komponente und möglicherweise leidet heutige politische Realisierung noch immer
unter dem Ordnungs- und Hierarchisierungswahn, den zu bekämpfen man strengste
Ordnungen einhalten und fordern muß.
Natürlich sind die Terroristen
Verfechter einer anderen Ordnung, doch die Ästhetik, die im Schleyerphoto den
Gestus der Fahndungsphotos repliziert, zeigt deutlicher als die ideologischen
Bekundungen, daß sowohl der strukturelle Zugriff auf die Person im
denunziatorischen und funktionalisierten Bild gerechtfertigt wie auch die eigene
Gewalt als alternative Ordnungsgewalt legitimiert werden soll, wie illusionär
auf der realpolitischen Ebene dies auch sein mochte. Doch wes Geistes Kind hier
operiert, wird an der strukturell vollzogenen und gesuchten Angleichung an
abstrakten Machtgestus überdeutlich. Möglicherweise liegt der Hauptunterschied
der bildmäßig analogen Figuration lediglich in den unterschiedlichen Quellen von
Identitätsbehauptung (Staat) – versus Intensitätssuche (Terroristen), wobei die
Identitätssicherung auf Seiten des Staates die problematische Geschichte
Deutschlands auszuklammern bemüht bleibt, die Identitätsstörung und der
Intensitätsgewinn auf Seiten der RAF andererseits unter emphatischer Überhöhung
der geschichtlichen Kontinuität der BRD mit dem Dritten Reich erfolgt, um ein
gegenwärtiges Angriffsziel zu gewinnen. Gegenüber diesem anzugreifenden Objekt
soll dann ein alternativer Ordnungsbegriff auf der Basis revolutionärer
Intensität freien Lebens bereits von Haus aus in allen Mitteln als
gerechtfertigt erscheinen. Eine fiktive Identität definiert so den Staat, der
bekämpft werden soll.
Sowohl
die solcherart nicht allein von den Terroristen angegriffene repressive
Figuration des Menschen (Bild-) Materials aus dem Bemühen um soziale Identität
im Rahmen des Staates wie die terroristische Figuration der RAF mit dem Ziel
partikularer Intensität – Feindbild im wahrsten Sinne des Wortes – enthüllen
eine tiefenstrukturelle Gemeinsamkeit. Beide arbeiten als Bildkonstrukteure mit
denselben Schablonen und zielen mit der Figuration auf dieselben
Ausgrenzungsmechanismen. Beide rufen im Übrigen sehr analoge Gegenreaktionen zu
ihrer primären Intention hervor – nicht nur im Blick auf Mitleid etwa.
Hinsichtlich der angesprochenen Intention ist dabei eine methodologisch
begriffliche Anmerkung vonnöten. Lyotard spricht, wie erwähnt, von ‚Figur‘ in
theoretischer Abhebung von repräsentierenden Ficta und unter Abstraktion von
einem intentional repräsentierenden Fingens. Dem will ich hier annähernd folgen,
da die unmittelbare Intention eines Subjekts als fingierenden Handelnden weder
bei Lyotard noch bei mir in Rede steht. Ich möchte das Bild und die Bilder
jenseits unmittelbar intentionaler Funktionalismen betrachten. Es geht nicht
darum, was welcher bildgewaltige Fotograf, Designer oder Ideologe welcher Gruppe
auch immer mit den Bildern tatsächlich beabsichtigte. Die Figuration im Bild
meint also die Struktur, nicht die direkte Intention. Es geht um die Weise der
Gegebenheit der Bildgegenstände.
Die
Figurierung der Wirklichkeit in einem Dispositiv der Bildpräsentation von
Verbrecherjagd und Erfolg solcher
Jagd ist so gesehen bei beiden gleich. In ironischer Verkehrung präsentiert die
RAF die im Fahndungsphoto implizit enthaltene Erfolgskomponente. Wobei sie sich
gerade im Erfolg unmenschlicher zeigt als die von ihr der Unmenschlichkeit
geziehen Staatsbürokratie.
Auf
der einen Seite entlarvte sich die Republik in den Bildern und dem Apparat der
hinter den Bildern stand - jener Apparat, dessen Bild im metaphorischen Sinn,
seinen ‚Geist’ eben die Fahndungsphotos enthüllten. Gegen solch
identifizierenden Zugriff auf den Einzelnen stand im Grunde 68, lange vor der
Erfahrung mit Rasterfahndung und Bildexploitation.
Gerade
deshalb ist zu fragen: Entlarvte sich somit die RAF nicht gerade im
revolutionären Pathos als antirevolutionäre Anti-68er, indem sie auf eine
anarchische Intensität setzte, die nur die Kehrseite der identitätserzwingenden
Strukturen war und als solche durchaus ihr Pendant in der Geschichte des Landes
hatten?
Doch
mich interessieren die Motive, Impulse, und psychischen Strukturen dieser Bilder
im Kopf und der damit verbundenen rhetorisch platzierten tatsächlichen Bilder
als Figurationen nur am Rande. Staat und
Terroristen standen also gegen das Lebensgefühl der 68er. Die Refiguration der
Republik in der späteren und heute dominierenden Einmütigkeit einer vagen
Verbundenheit mit 68er Freiheitsstreben, die vermutlich für beide von mir
vorgestellten Bild-Varianten die Bild- und Ideologiekritik sofort akzeptieren
würde, ist ein wesentlich interessanteres Phänomen.
Management der
Bilderfluten zu frei floatenden Bildwerten?
Strukturell möchte ich daher eine andere Frage aufwerfen: zeichnet nicht die
institutionell später siegreiche Alt-68er Garde in wahrlich befremdender
Übereinstimmung mit traditionellen Ordnungskräften die Akzeptanz prinzipieller
Fahndungssituation und die Propagierung eines verallgemeinerten bildlichen und
datenmäßigen Zugriffs auf das Individuum heute aus? - und hängen nicht die
Proteste dagegen nur davon ab, mit welcher politischer Zielrichtung motiviert
wird, statt dass der Protest sich gegen die Strukturen richtet? Adornos Verdacht gegen die praktische Umsetzung
freiheitlicher Motive durch repressive Akte mag weniger barbusige Studentinnen
und den Weiberrat, der im April 1969 seine VL ‚Einleitung in dialektisches
Denken‘ sprengte, mit Recht getroffen haben, denn daß er jene Sprach- und
Bilder-Verbote trifft, die heute unter dem verräterischen Namen politischer
Korrektheit ein neuer Herrschaftsdiskurs unreflektiert durchzusetzen sich
anschickt.
Das
ist der zweite Punkt, der meine Überlegungen motiviert. Ist es nicht so, daß
heute die Frucht von 68 trotz der weitgehenden Akzeptanz des kritischen Gehalts
der Protestbewegung in ein affirmatives Bildbestätigungsprogramm abdriftet, das
gleichwohl dem Geist der Zensur zugeneigt ist? In der Refiguration der Republik
im Bild werden die alten Figurationen als rhetorische Blicknahmen bestätigt und
gleichzeitig werden sie praktisch entwertet. Die damaligen Bilder der
staatlichen Ordnung als rigorose Unterdrückungsmechanismen, mit Sicherheit
manipulative Bilder (Bild 3), werden heute kritisch
bestätigt und quasi-offiziell affirmiert. Doch trotz der Bejahung der
Bildgehalte in ihrem kritischen Potential, werden sie dennoch geradezu in ihr
Gegenteil verkehrt. Die meisten 1968 zunächst in Frage gestellten
Bestimmungsgrößen von Gewalt,
Ordnung und Konsum erfahren somit trotz der Akzeptanz der Kritik letztlich ihre
Bestätigung. Das zu zeigen kann eigentlich nicht geleistet werden, oder besser:
ich kann das eigentlich nicht leisten.
Aber
denken wir einmal an die heterogenen Indienstnahmen der Bilder durch die Kultur-
und Bewußtseinsindustrie auf der einen Seite, und die elaborierten
Regulierungsversuche vormals emanzipatorischer Gruppen auf der anderen Seite.
Als Beispiel können die Bilder der sexuellen Befreiung dienen, wo wir auf der
einen Seite eine paradoxe Inverse des kritischen Gestus der – soll ich sagen
linken? – Nacktheit (Bild 2) zur rechten nackten
Gewinnbilanz finden. Wir begegnen auf der anderen Seite, in der Bekämpfung nun
dieser Exploitation aber wiederum erschreckenden Ordnungsvorstellungen
totalitären Zugriffs. Ein Herrschafts- und Verfügungsdiskurs aus scheinbar
revolutionärer Perspektive artikuliert sich, der genau jene Ordnungen des
Ausdrucks und des beschränkten Blicks reetabliert, gegen die der 68er Protest
sich richtete.
Solche Verfügungen scheinen im Fall der Exploition der Nacktheit durch
kapitalistische Kräfte besonders legitimiert, denn Nacktheit war ja sehr schnell
nicht mehr links, sondern ein Geschäft. Dennoch scheint mir der Umschlag zu
Zensurforderungen sehr bezeichnend.
Die
ursprünglich emanzipatorische Perspektive sah ungefähr die Linken für das Nackte
und die Rechten für die Uniformen,
die Linken für den Strand, die Rechten für Beton, die Linken für die Worte, die
bekanntlich fliegen, die Rechten für Flugkorridore und Zensur. Deshalb stehen Flugblätter – aus denen man zwar auch
wirkliche Flieger basteln konnte – leichtfüßig links.
Ernst
Jandl sagte dazu 1969 „Lechts und rinks kann man nicht velwechsern. Werch ein
Illtum‘ – und das galt nicht nur für die sexuelle Revolution, das galt für den
Ordnungswahn, die Zensur, das gilt heute verstärkt. Und während die
Ordnungsphalanxen der Polizei, beritten oder nicht, ordentlich vereinheitlicht
durch Uniform uns als strukturelles Gegenbild dienen zu dem liebenswert
schrulligen Chaos der bunten Gruppierungen, erschlägt möglicherweise die
gesuchte ‚wahre’ Ordnung eben jener Chaoten, deren Bild-Signifikat uns als
Gewährleistung des Widerstands gegen greifbare Bildordnungskräfte dient, den
Freiheitsraum mit Verfügungen.
Die
Frage ist, ob der Blütenprotest von 68 bereits in wesentlichen Momenten die
Widersprüche, die zu der nahtlosen Vermarktung auf der einen und Komplizenschaft
mit Ordnungssystemen auf der anderen Seite führen, beinhaltet. Pasolinis Kritik an den 68ern war in
diesem Sinn vielleicht bezeichnend.
Der
engagierte Filmemacher Pasolini meinte: „Der Kreis hat sich geschlossen. Die
herrschende Subkultur hat die oppositionelle Subkultur aufgesogen und sich
angeeignet“ und Pasolini bemerkte in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem
Statement Anfang der 70er zu den 68ern: „Tatsächlich haben sie ihre Väter
rückwärts überholt und haben dabei in ihrem Inneren Ängste und Anpassungszwänge
und in ihrem Äußeren ein Spießertum und eine Armseligkeit wiederaufleben lassen,
die bereits für alle Zeiten überwunden schienen“
Das
betrifft heute vor allem die Bilder. Diese werden als Bilder des Protests und
der Veränderung hoch gehandelt, während strukturell das Veränderungspotential
nur als Dynamisierung funktionaler Abläufe in Verwertungszusammenhängen wirklich
eine Rolle spielt. Das Bild der Freiheit
scheint heute nur als Bild der
Freiheit gefragt. Es bedient den Mythos.
Das Medium Fotografie und
seine inhärente Gegenkraft zum mythischen Bedeutungsansinnen - Widerstand der
Wirklichkeit
Dabei
scheint das (klassisch) photographische Bild in den Implikationen seines
Bildgebungsverfahrens ein Freiheitsmoment gegen die Ideologie und die
Vermarktung zu beinhalten.
Ich
verfolge mit Leidenschaft eine vage Idee, gemäß der ich hoffe, an Hand der
Fotografie und dann auch - aber erst sekundär - dem Film herauszufinden, wie es
gelingt aus dem Material der Wirklichkeit das zu formen, was Roland Barthes
‚Mythen‘ des Alltags nennt. Wieso verhilft gerade die Fotografie dazu, das
plastisch zu gestalten und in den Köpfen als ein Bild zu verankern, was die
Geschichtswissenschaft uns dann verobjektiviert, wenn sie es denn tut, als Bild
der 70er – beispielsweise – zu verkaufen sucht. Ah! Ideologiekritisch werden die
Älteren unter Ihnen sagen: wie langweilig. Wahrscheinlich kommt als Nächstes,
daß es ganz anders war, als er selbst noch an Demonstrationen teilgenommen hat.
Was ich hiermit so versteckt, wie es nur geht, angebracht habe. Allerdings ist
das tatsächlich theoretisch belanglos. Die Bilder und der Umgang mit den
Bildern, nicht die Wirklichkeit sind die Impulsgrößen und das scheint sich zu
verstärken. Um zu wissen, welche gesellschaftliche Bedeutung Demonstrationen
beikommt, kann man sich weder auf sich noch auf andere als Teilnehmer berufen, -
man muß die Bildpräsentationen und deren Zusammenhänge studieren.
Die
Studentenrevolte, die außerparlamentarische Opposition, die RAF und die Bilder
davon sind tatsächlich besonders geeignet, sich bewußt zu machen, um was es in
jener speziellen Art von Manipulation, der wir unterliegen, wenn wir auf Bilder
schauen, geht. Stellen wir uns die Situation vor Augen, wenn wir an einer
Demonstration teilgenommen haben und die Bilder in der Zeitung betrachten, die
theoretisch Bilder von uns selbst sind, die aber nun, herausgehoben aus den
diversen Zufälligkeiten, beanspruchen, das Gefühl einer Epoche auf den Nenner zu
bringen oder gebracht zu haben. Das funktioniert dadurch, dass die Bilder in
einer Weise fungieren, die unsere personale Präsenz negiert und gleichzeitig
jenseits des Bezugs den Symbolwert bejaht. Dieser Negation des Speziellen im
Allgemeinen gilt es an den Bildern nachzugehen und das Verfahren beim Übergang
ins kollektive Bewußtsein aufzuweisen.
Die
Photographie ist deshalb so interessant, weil ihr als Medium das inhärente
Gegenmoment zur notwendigen Bedeutungsprätention der verbalen Verkündigung
innewohnt. Zudem ist sie das Antidot zum Wichtigkeitsgestus schriftlicher
Bekundung und Beurkundung, um vom Meißeln im Stein gar nicht zu reden.
Die
Photographie steht medial auf der Seite der Wirklichkeit, weil bei ihr die
Wirklichkeit als Material zählt. Sie steht auf der Seite der Revolte der
materiellen Bedürfnisse gegen den imperialen Geist, auf der Seite der
tatsächlichen Verhältnisse gegen die abstrakten Ordnungssysteme - zumindest
tendenziell. Tendenziell deshalb, weil in ihr immer das Störmoment der
Wirklichkeit direkt vertreten wird, nicht idealiter ausgegrenzt werden kann,
selbst wo es versucht wird – und
doch dieses Störmoment eben nicht nur Störfall ist, sondern buchstäblich Bild
gibt. In diesem Sinn ist Fotografie mehr Präsenz denn Repräsentation einer
Wirklichkeit. Allerdings in einem Vergangenheitsmodus, wie Roland Barthes immer
wieder betonte. Anders als bei der Schrift, wo das Störmoment Wirklichkeit
bestenfalls zu Tintenflecken führt, präsentiert das fotografische Bild den
Gegenstand selbst als Störmoment zu jedwedem - ideologischen, ästhetischen oder
funktionalen - Bedeutungsansinnen.
Das
Photo Hans Martin Schleyers macht dies deutlich. Jenseits der proklamierten
Ideen und Funktionalismen zeigt es in erster Linie einen geschundenen Menschen.
Wenn ich die Barthes’sche ästhetisch-ontologische Kategorie des Punctums als
verstörendes Element der Photographie jenseits der kulturellen und politischen
Bedeutung nehme,
dann ist es der Blick dieses Mannes, ein Blick der standhält, nicht wie
Heldenblick, sondern so, wie Emmanuel Levinas immer wieder behauptet, daß das
Antlitz des anderen Menschen verkündet: Du kannst, sollst nicht töten. Daß man
dennoch jemanden umbringen kann für Ideen und stellvertretend für Ideen, das
wissen wir freilich schon lange. Doch das/ der Andere in seinem konkreten
Eigenwert wird dann nicht wahrgenommen, in jenem Eigenwert, der uns noch in der
Fotografie begegnet als der Anspruch eines konkreten Seienden, ein
Autosemantikon, selbstbedeutend, jenseits und diesseits von Zeichenbedeutung.
Doch
ich will nicht Bildinterpretation mit Ihnen betreiben. Ich will auf die Struktur
blicken.
Die
photographischen Bilder scheinen also selbst in gewisser Hinsicht, wenn wir den
Blick auf das kontingente ‚factum brutum‘ der Photographie richten, das
widerständige Moment zu dem zu enthalten, was wir in konkreter Anwendung und
losgelöst von Schleyer auch ‚Bild der Republik’ nennen können. Das Bild der
Republik tritt dann vor Augen, wenn wir die Aufmerksamkeit auf den
Allgemeinheitsanspruch und das rhetorisch
vermittelte Signifikat des Bildes richten. Das widerständige Moment
transportieren die Bilder also nicht als kritischen Bedeutungsgehalt, sondern
deshalb und insoweit sie Bilder einer bestimmten, kontingenten Situation sind.
Diese Kritik des Kontingenten an der mittels des Kontingenten verkauften Idee
wohnt selbst noch dem gesuchtesten Bedeutungsarrangement inne. Photographie
bietet – immer auch! - ein Bild jenseits der Idee.
Doch
wenn die photographischen Bilder tatsächlich prinzipiell, d.h. dem Medium
verdankt, das Aufbrechen und den Widerstand des Singulären gegen das Universale
einer Wesensbedeutung enthalten, dann ist es umso interessanter – und
befremdlich - zu sehen , daß und wie in der Figuration und der Refiguration der
Bilder so etwas erzeugt wird wie Ideologie. Wieso wird also das genaue
Gegenmoment zu dem, was die Photographie als Dokument leistet, in der
Präsentation erwirkt. Damit verknüpft ist die Frage, wie Bilder so etwas zu
erfassen oder auszudrücken vermögen, was wir hochgegriffen die Befindlichkeit
einer Nation nennen könnten und einige Stufen tiefer doch immer noch als
Identifikationsfocus - sei es unserer projektiven Ängste oder sei es der
retrospektiven Fundamente - ausmachen können.
Das ist Deutschland sagt der Film ‚Deutschland im Herbst‘ und die
Presseerklärung vermerkt ausdrücklich: „Wir wollen uns mit den Bildern unseres
Landes befassen“.
Nicht daß das Bedeutungsarrangement für sich schlecht wäre, doch die Differenz,
das Unverrechenbare des im ideologisierten Begriff verrechneten Unverrechenbaren
gilt es zu erheben.
Fotografie als Rhetorik und
Bedeutungsarrangement
Ich
werde mich nicht lange mit den Prinzipien des semiotischen Bedeutungsgewinns für
Fotografien aufhalten. Diese Bedeutung ist jedenfalls der fotografischen
Objektorientierung entgegengerichtet. Alle ästhetischen Prinzipien formaler
Gestaltung des Bildaufbaus wie auch der Auswahl und Präsentation der
abgebildeten Objekte finden allerdings darin Eingang.
Natürlich erst Recht Prinzipien der Bildbearbeitung bis hin zur Fotomontage.
Doch dies führt in eine Richtung, die von der fundamentalen Ebene der Figuration
zu Bildern und der Refiguration der Bilder zu einem Gesamtbild wegführt zum
direkten intentionalen Gestaltungsraum, der uns hier nicht interessieren soll.
Entscheidendes Prinzip, das sowohl auf der Seite des intentionalen
Gestaltungswillens wie auf der Seite der die Intentionalität unterlaufenden Figuration operiert, ist der
Bedeutungsgewinn aus Kontextfügung. Wir können dies mit Barthes den
syntaktischen Aspekt der Bildpräsentation nennen. Setzen Sie ihr Passbild
versuchsweise in das Fahndungsplakat, stellen sie es neben das
Schleyerfoto, setzen Sie es in den freien Raum unter
den Barbusigen neben den
Stacheldraht, was immer Sie tun, Sie werden Bedeutung generieren. Es ist
dies ein Verarbeitungsmechanismus, der unter der Schwelle noch jeder bewussten
Konstruktion operiert. Aus kontingenten Bildern gewinnen sie so Bedeutung und
aus Bedeutungsbildern fügen Sie oder fügt sich Ihnen die Welt zum geistigen
Bild, z.B. Deutschland im Herbst.
Nur
soviel sei hier gesagt: im Film geht das umso leichter, als der Film immer
bereits – und zwar konstitutionell – auf der Wahrnehmungsebene eine täuschende
Bildfiguration offeriert und uns zudem auf der Handlungs- und Deutungsebene
permanent zwingt, sowohl die vielfältigen Lücken des Offs in gelenktem Sinn zu
schließen, wie auch die narrativen und logischen Konkatenationen, die
Verknüpfungen zu einem Sinn,
vorzunehmen. Dieser Sinn als Manipulations- und damit Herrschaftsstruktur
veranlaßte verschiedene – kein Wortspiel! - Theoretiker der Postmoderne wie
Deleuze und Lyotard für das ungefüge Bild, im Prinzip für das aus der Ordnung
der Narration gelöste Tableau zu plädieren.
Die
Manipulationen zur gewünschten Weltdeutung in dem Film
Deutschland im Herbst, sind geradezu
rührend, weil sie ihren manipulativen Gehalt so ostentativ vor sich hertragen.
Deshalb sind die sinnstiftenden Verbindungen zwischen Rommels und Schleyers
Staatsbegräbnis auch kaum problematisch. Sie verweisen auf sich als
prononcierte, arrangierte Thesen, nicht treten sie als quasinatürliche Sicht
auf. Wer also Ideologiekritik betreiben möchte, dem ist es hier so leicht
gemacht, daß dies selbst bereits wiederum ein signifikantes Datum darstellt, das
für die Offenheit des Films spricht. Etwas problematischer ist Faßbinders
Authentizitätsinszenierung, über die ich ursprünglich in einem Workshop als
interessanten Sonderfall der Vermittlung von Allgemeinem und individuell
Besonderem mit Ihnen sprechen wollte.
Jedenfalls scheint mir dafür die generelle Strukturperspektive von gesuchter
Intensität vor der Kamera und in den Bildern und geleisteter Identität ebenfalls
bezeichnend. In dieser Episode des Films finden wir allerdings die Tendenz, den
natürlichen Wert der Dokumentation zu betonen, statt die Tatsache des
Bedeutungskonstrukts. Doch dies nebenbei.
Der
Hinweis auf Fassbinders Authentizitätsinszenierung, die problematischer ist als
die ideologische Konstruktion der erkennbar wirkungsgerichteten Fügung der
Bilder bei Alexander Kluge etwa, dient mir dazu, auf die Fotografie
zurückzukommen. Nach dem vorigen Abschnitt, der die einzelne Fotografie in ihrer
ontologisch widerständigen Kraft gegen Bedeutungskonstrukte würdigte, haben wir
uns nun die Bedeutungskonstruktion für Fotografien, die im Film beispielhaft
funktioniert, die aber auf ein grundsätzliches bedeutungsgenerierendes
Verarbeitungsprinzip der Bildfügung verweist, vor Augen gestellt.
Die
Wirkmechanismen der Photographie können Bedeutung und Ideologie umso besser
transportieren, vermögen sie umso überzeugender zu vertreten, als in unsere
Wahrnehmung konstitutionell die gegenideologische Komponente der Photographie
eingegraben ist. So wie wir die natürliche Authentizität Fassbinders im Film
konstatieren, die selbst ein Konstrukt ist, so nehmen wir in den allermeisten
Fällen die natürliche Bezogenheit der Fotografie auf den Gegenstand – das
Voranschreiten der digitalen Fotografie macht es uns freilich leichter diese
Natürlichkeit selbst als Konstrukt zu durchschauen – als ‚eigentliche’ Bedeutung
wahr.
Das
führt mich nun zu dem verwunderlicher Effekt zurück, den ich in dem heutigen
Gesamtbild von 68 zu entdecken glaube, und dessen Widersprüchlichkeit für mich
auch etwas mit der medialen Natur der Fotografie in den zwei eben skizzierten
Aspekten von kontingentem Bezug und syntaktisch etablierter Bedeutung zu tun
hat.
Doch
ich weiß das nicht genau. Das Phänomen, daß die Codierung der Bilder via Kontext
und zahlreichen weiteren bedeutungsgenerierenden Verfahren im manipulativen Sinn
der Bedeutungsetablierung für bestimmte Photographien erfolgreich verläuft, die
Gesellschaft den Bildsinn als Kulturgut aufnimmt und vertritt und dann eben
jenes realisiert, wogegen der akzeptierte Gehalt der Bilder Stellung nimmt, ist
zumindest erstaunlich. Gerade das, wogegen das Bild also mit ästhetischer
Klarheit und mit Nachdruck protestiert, wie fast nur Kunst in ihrer
durchgeklärten Form es zu können scheint, wird andererseits zur Ratio der
gesellschaftlichen Organisation, die so ein – wenn wir in unserer Metapher
bleiben wollen – frühlinghaftes Bild von sich entwirft, das zu dem eigenen mehr herbstlichen
gesellschaftlichen Organisationsprinzip in Widerspruch steht. Natürlich hat dies
auch mit der Bedeutungskonstitution von Kunst im Allgemeinen, die um den Preis
praktischer Wirkungslosigkeit ihre ästhetische Freiheit gewinnt, zu tun. Doch
mich interessiert der spezielle mediale Aspekt einiger signifikanter
Fotografien.
Gegenstandsbild - Bedeutungsbild und das
geistige Bild
Nehmen
wir nochmals ein letztes Beispiel, ein
letztes Bild.
Zwei alt aussehende Männer, einer noch älter als der andere, Philosoph übrigens,
vor einer Mauer, die das Wesen der Mauer, das Wesen der Kommunikationssperre,
das Wesen der Ausgrenzung bedeutet, so
sehr bedeutet, als wäre sie mit der Wahrheit von Hölderlingedichten erfunden,
sprachlos und kalt ...
Das
ist natürlich nicht der kontingente, widerständige, singuläre Aspekt der
Photographie, die tatsächlich eine Mauer zeigt und tatsächlich Sartre und ...
sondern die Bedeutungsaura, mit der ich
das Bild durch Einordnung in einen ästhetischen Konnotationsraum, unter Bezug
auf formale Aspekte und Weltwissen um Stammheim zwinge. Doch diese Bedeutung wurde sofort so
empfunden als Sartre Stammheim besuchte, damals - im Herbst - und sie müssen
heute wahrscheinlich lange suchen,
um überhaupt jemand zu finden, der nicht die grundsätzliche Problematik des
Überagierens der Staatsgewalt und des falschen Sicherheitsdenkens in dem
‚sprechenden’ - d.h. bedeutungsgesättigten Bild wiederfände und – mit ein paar
Zusatzinformationen vielleicht - nicht zugleich die Hilflosigkeit nichtkonformen
Denkens vor den Herrschaftsmauern offizieller Meinung in dem Bild ausgedrückt
fände.
Dabei
geht es natürlich nicht um Stammheim, es geht um Stammheim als Symbol. Ist aber
das Sicherheitsdenken tatsächlich anders geworden, sind die
Ausgrenzungsmechanismen für welche Bedrohungen auch immer, nicht virulent. Die
Forderungen nach rigideren Maßnahmen gegen Verbrecher bei jedem
Rückfallverbrechen, der tatsächliche Umgang mit Alten, Aidskranken,
Asylbewerbern und – vielleicht am bedenklichsten: der kontrollierende Eingriff
der Ordnungsmächte ins Private aus Gründen der Sicherheit - scheint heute
stärker denn je. Wir sind vielleicht geneigt, gemeinsam den Protest gegen den
Anflug von Unmenschlichkeit des Hochsicherheitskonzepts, der in dem Bild sich
als Weltgeistlist ästhetischer Prinzipien manifestiert zu haben scheint, zu
affirmieren, gar als kritische Bewußtmachung zu feiern – aber operieren wir auf
einer abstrakteren Ebene nicht entgegengesetzt, organisiert die Gesellschaft
sich nicht so, daß gerade die gegenläufigen Tendenzen zu den Bildbotschaften
realisiert werden, unbewußt?
Möglicherweise blind gemacht eben durch das Bild, dessen Signifikat wir
ästhetisch affirmieren?
Das
geistige Bild, das aus Photographien gewonnen wird – natürlich nicht nur aus
Photographien - und das – umgekehrt - uns semantisierte Photographien – also
bedeutungsvolle, ideologisierte, paradigmatische kulturelle Zeichen – liefert,
indem es Photographie durch Ästhetisierungen, Gegenstandsselektion,
Gegenstandsanordnung und vor allem Bildfigurationen zum Bedeutungsträger macht,
nutzt, meine ich die Differenz zwischen Bezug und Bedeutung aus.
Möglich wird dies dadurch, daß es eine paradoxe Ausnützung des angesprochenen
Gegenmoments jeder Photographie zu der Aufladung mit Signifikat gibt.
Die
Widersprüchlichkeit des geistigen Gesamtbildes resultiert aus der Anwendung der
Differenz zwischen Gegenstandspräsenz und Bedeutungspräsentation. Wir können auf
der abstrakten Ebene genau das realisieren, wovor die Bilder warnen, die wir
gleichzeitig in ihrem warnenden Gehalt hoch belobigen; wir können dies deshalb,
weil wir die kontingente Bezogenheit der Fotografie ins Spiel bringen. Im
Bewußtsein des kritischen Bildgehalts, der uns in den konkreten signifikanten
Zeitbildern vermittelt wird, glauben wir die Lehren aus den Problempunkten
eines Deutschland im Herbst gezogen zu haben, das wir in Bildern refigurieren,
zu denen wir unsere Wirklichkeit in Kontrast stellen können.
Während die Bedeutung des wahrlich herbstfühligen Bildes der kahlen Mauer
eigentlich abzulösen wäre von der konkreten Situation, benützen wir hingegen die
konkrete Situation um uns hinsichtlich der Bedeutung zu beruhigen. Ich erinnere
an das Konstrukt zu Anfang, an dem ich die prinzipielle Differenz der Ebenen von
Bedeutung und Bezug einsichtig zu machen suchte. Haben wir nicht in der
Bildfiguration eben der Zeit nach 68 bis zu dem Höhepunkt des Herbst 1977 im
Kampf gegen den Terrorismus heute eine weitgehende Akzeptanz der Bedeutungszuschreibung für die Bilder. Auch dieses Bild vom Besuch Sartres in
Stammheim ist ein Instantiierungsfall der signifikativen Weltpräsentation und
sein kritischer Gehalt wird bewußt wahrgenommen und bejaht. Aber gleichzeitig
wird genau dieser kritische Gehalt durch den Bildverweis auf Stammheim beruhigt.
Die
problematischen Strukturen von Ausgrenzung, Strukturgewalt und (falschen)
Identitätskonstrukten erfüllen wir jedoch sogar mit gutem Gewissen, weil diese
nicht das konkrete Bild realisieren, das uns beunruhigt. Den abstrakten
kritischen Bedeutungsgehalt koppeln wir an die abgebildete Situation.
Das
gilt auf der direkten Referenzebene, auf der sich unsere kritische Haltung in
der Weise erschöpft, daß wir heute – im Irrealis – einige Dinge anders machen
würden, rund um Stammheim und den deutschen Herbst. Das gilt aber auch in der
Tendenz. Wenden wir uns doch noch einmal dem Bildmaterial zu, das Sie
vor sich liegen haben. Man kann sich nur schwer der Suggestivkraft der
Stacheldrahtbilder entziehen, die Gefangensein, Bedrohung der körperlichen
Integrität und der Freiheit zugleich konnotieren, andererseits aber auch
indirekt die Unmöglichkeit andeuten, mit Stacheldraht ein Volk zu bändigen.
Diese Bilder dienen uns als kritisches Reservoir und unsere Sensibilität für die
Problematik solcher Kontrollfesseln ist ausgeprägt. Was sich auch daran zeigt,
daß wir dort, wo tatsächlich Stacheldraht zur Anwendung kommt durchaus
sensibilisiert sind. Vielleicht, wenn wir über einige Phantasie verfügen,
schaffen wir den Sprung weg vom Bild zu dem abstrakten Gehalt und bleiben aufmerksam kritisch gegen so
etwas wie die Fortschritte humanitärer Fesselung in ausgeklügelten
elektronischen Fußfesseln, die uns als Fortschritt der Gefängnistechnologie
angepriesen werden. Die Frage aber, ob nicht die Schlachten um buchstäbliche
Fesselung, Verletzung der personalen Integrität und des freien Zugangs auf ganz
anderem Feld geschlagen werden oder bereits geschlagen sind, zu denen gelangen
wir stacheldrahtfixiert nicht, während die Accessability im Netz als Privileg
wie Ausschluß und die elektronische Kontrolle via Vernetzung als
Arbeitserleichterung oder Heimgefängnis uns gefangen nehmen in buchstäblichem
und figurativem Sinn. Godard sagte mit Recht bezüglich des Films: „Man müßte die
Geschichte des Sehens zeigen und die Geschichte der Blindheit, die daraus
erwachsen ist“.
Schluß
Wo ist
unser Ort?
Wir
beschreiben von einem narrativen Ort her, der den Frühling von 68 im Oktober von
1977 ersterben läßt, die Geschichte, und wir sind in Gefahr, ohne Durchdringung
des konstruktiv-manipulativen Aufbaus, in der Affirmation des rhetorischen
Bedeutungsgehalts der Bilder uns als die Lifestyleerben der 68er zu verstehen.
Die eigentliche Pointe aber ist nicht die Destruktion oder Dekonstruktion der
rhetorischen Bedeutung des Bildes. Es muß nach der Berechtigung der Konstruktion
gefragt werden. Nur dann ist es uns möglich, nicht einfach die belanglose
rhetorische Affirmation zu vollziehen und gleichzeitig die Wirkkraft der Kritik
aufzuheben, indem wir den Bezug der Bilder gegen deren Bedeutung ausspielen. Die
kritische Bedeutung bleibt uns sonst als romantische Reminiszenz nur erhalten.
Die
Lenkbegriffe und Rahmen funktionieren einfach:
Unter
dem Pflaster – Sie wissen es? –
Über
den Wolken – das ist schnulzig und
engagiert zugleich.
Die
heutige Bejahung des kritischen Bedeutungsgehalts der Bilder, die das Bild der
Republik refigurieren, liegt auf einer ähnlichen Ebene.
Mich
bewegt an dieser Stelle die mögliche Strukturkopplung, daß die Bilder der
Wirklichkeit zunächst aufgeladen werden mit Bedeutung, diese Bedeutung dann
affirmiert wird und gleichzeitig - wegen der photographischen
Rückverpflichtetheit auf die Gewesenheit der Geschichte - in concreto die
kritische Bedeutung negiert wird.
Gerade
im Blick auf die Refiguration der Bilder von der Republik in ein Bild der
Republik, gilt es die Strukturbedingungen der medialen Konstrukte sorgfältig zu
untersuchen. Die gelenkte Manipulation als Versuch eines Bedeutungskonstrukts
ist dabei in manchen Konstellationen wesentlich weniger problematisch, als die
zunächst falschen Mythos destruierende Orientierung am singulären Moment. Sie
ist deshalb nicht so problematisch, weil wir schon lange und immer wieder unsere
Aufmerksamkeit auf die Strukturen der impliziten Bedeutungserzeugung zu richten
gelernt haben. Ich wollte im gegebenen Zusammenhang darauf aufmerksam machen,
daß und wie es geschehen kann, daß eine gesellschaftlich etablierte Bedeutung
eines Bildes mit kritischem Implikationshorizont, mit guten Gründen affirmiert
wird und dennoch des berechtigten kritischen Potentials verlustig geht, obwohl
nur die implizite Widerständigkeit des fotografischen Bildes gegen Ideologie in
Anspruch genommen wird.
Die
Unschuld des Gegenstandsbezugs des fotografischen Bildes können wir jedoch nicht
unmittelbar ausnützen, sowenig wie wir sie angesichts der
bedeutungsgenerierenden Verfahren garantieren können.
Das
Recht des einzelnen Gegenstands unabhängig von Bedeutungskonstrukten
wahrgenommen zu werden, sollte nicht dazu führen, daß wir die Bedeutung der
Bilder als kritisches Potential negieren und stattdessen auf der Ebene der
Beliebigkeit sowohl den Symbolwert wie den Dokumentwert hinsichtlich ihres
Tauschwerts zum Einsatz bringen.
Einige Indizien
deuten im öffentlichen Leben darauf hin, daß im Blick auf die Entwicklung nach
68 genau solches geschieht.
Text einschließlich der Fotografien als pdf-Datei:
Refiguration.pdf (753
KB)
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