Virilio

Da sich das Thema in seiner problemorientierten Konzeption eher für ein Hauptseminar eignet, verschiebe ich die Behandlung auf das WS 2002/ 03.

Vorankündigung:

Das Seminar zu Virilios Ästhetik des Verschwindens stellt eine Besonderheit dar, insofern nicht das Kennenlernen eines klassischen philosophischen Texts oder auch einer klassischen Position der Moderne im Vordergrund steht, sondern am exemplarisch scheiternden Text Virilios die philosophische Herausforderung aufgenommen werden soll, jenen intuitiven Hintergrund, der Virilio bestimmt und vorwärtstreibt, zu klären. Dabei ergibt sich, daß das ästhetische Problem eher vordergründig ein Phänomen charakterisiert, das einen fundamentalen ethischen und anthropologischen Problemhorizont anzeigt.

Wir wollen an verschiedenen, den philosophischen Frage- und Begründungshorizont deutlich unterschreitenden Texten Virilios erarbeiten: a) was Virilio überhaupt meint und wieweit die offerierten Beispiele und assoziativen Gleichnisse eine argumentativ vertretbare Position ermöglichen und b) prüfen, ob die zugrundeliegende - und von uns durchgeklärte - Intuition Virilios eine adäquate Phänomenbeschreibung liefert. Schließlich wollen wir c) feststellen, ob medienethische und medienästhetische Implikationen, eine begründbare und systematisch fruchtbare kulturphilosophische Perspektive eröffnen.    

Das mag so klingen, als könnten wir entsprechend problemorientiert auch das Feuilleton irgendeiner Tageszeitung zum Anlaß nehmen, um von der bild- und effektverliebten Rede zu philosophischer Begründung zu gelangen und uns die Differenz zwischen den beiden Herangehensweisen: (1) rhetorisch wirkungsvolle Bildofferte und (2) philosophisch klärende Kritik exemplarisch vor Augen zu stellen.     

Virilio ist, wenn und soweit er überhaupt ein Philosoph ist, ein Bilder-Philosoph, der in der Bildlichkeit der Rede aufgeht, der die Oberfläche und die Reizbilder assoziativ einsetzt und die argumentative Verknüpfung und Klärung weitgehend anderen, Philosophen beispielsweise, überläßt. Doch  behandle ich Virilio nicht einfach als nachgeschobene Übung zu meiner Vorlesung (SS 2001): „Philosophie des Bildes und Philosophieren in Bildern: die Herausforderung Platons“. Er ist für mich nicht nur Beispielfall für philosophisch unzulängliches Theoretisieren. Seinem postmodernen Konglomerat liegt, so meine ich, eine Intuition zugrunde, die Tendenzen der Medialisierung und eines entsprechenden Menschenbilds in ihrer Problematik erfaßt. Mit Recht lenkt er den Blick auf bestimmte Phänomene und Zusammenhänge, auch wenn er diese Zusammenhänge nicht zwingend aus der Sache heraus zu behandeln vermag.  

Eine besondere Pointe liegt dann darin, daß der bildverliebte Rhetoriker Virilio ebenso wie der bildkritische Antirhetoriker Platon eher eine Bilderskepsis vertritt.

Der Einstieg des Seminars erfolgt denn auch über eine Lektüre von Platons Politeia Buch X.

Dennoch möchte ich denjenigen, die eine philosophisch fundierte Position nachvollziehen wollen und  Referenzwerke von Platon bis zu Quine und Wittgenstein sich anzueignen suchen - ein im Philosophiestudium sehr legitimes und angemessenes Verfahren -, von dem Seminar eher abraten. Virilio taugt in diesem Sinn sicher nicht als Referenzgröße, bestenfalls ist er so etwas wie ein anstößiger Anstoßgeber zur philosophischen Auseinandersetzung um einige gegenwärtige Probleme der medialen und instrumentellen Verarbeitung und Zurichtung von Welt.     

Die Seminarperspektive ist insgesamt mehr dem Aspekt ‚Philosophieren an’ zugeneigt, denn dem Aspekt ‚Philosophie kennenlernen durch’.

 

Seminartexte:

Platon, Politeia; Buch X;

Virilio, Paul (80; dt.86) Ästhetik des Verschwindens. Berlin: Merve (132); (84; dt.89) Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung. Frankft. a.M.: Fischer Tb (Lizenzausg.von München: Hanser, 1986); (88; dt.89) Die Sehmaschine. Berlin: Merve. (149); (93;dt.94) Die Eroberung des Körpers. Vom Übermenschen zum überreizten Menschen. München: Hanser.